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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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zu einem Trichter gerollten Blatt aufgefangen werden, um die Milch in die relativ kleine Öffnung des Schlauches zu lenken. Mich ließen jene drei Kühe, die tragend waren oder bereits gekalbt hatten, nicht näher als ein paar Meter an sich heran, dann wurden sie entweder von den Männchen schützend eingekesselt oder liefen mit ihren Kälbern davon. Nauna lachte mich aus, wenn ich es war, der vor den Bullen flüchten musste, doch ich hatte keine Lust auf ein zweites geprelltes Knie.
    Zu den unangenehmsten Dingen dieses einfachen Lebens zählte die Verrichtung der Notdurft. Zum einen mangelte es hier in freier Natur an der erforderlichen Intimsphäre, um sich ungehemmt zu erleichtern, zum anderen an der weitaus nötigeren Hygiene. Und dann gab es noch die Blackflies. Zu Beginn hatte ich den Fehler gemacht, die Tageszeit nicht zu beachten; mit dem Resultat, dass sich Hunderte von Mücken auf alle – alle! – freien Körperstellen gestürzt hatten. Allein mein membrum virile hatte am darauf folgenden Abend ausgesehen, als hätte ich es in ein Wespennest gesteckt. Nach dieser bestechenden Erfahrung bemühte ich mich, meine Notdurft vorwiegend nachts zu verrichten. Als Toilette diente dabei das Fließendwasser-WC; jener kleine Gebirgsbach, der in der Schlucht auch die Naturdusche stellte. Immerhin erhielt ich ausreichend Gelegenheit zu üben, denn mein Verdauungssystem hatte die abrupte Nahrungsumstellung nicht besonders gut verkraftet.
    Während der Zeit, in der ich mit Nauna das Tal durchstreifte oder ihr vor dem Zelt bei ihren täglichen Arbeiten half, fühlte ich mich aus unerfindlichen Gründen beobachtet. Dieses Gefühl ständigen Belauertwerdens ging von den Aqunaki-Tempeln aus und steigerte sich gelegentlich zu regelrechter Paranoia. Manchmal bildete ich mir ein, in der Dämmerung oder im Morgengrauen eine Bewegung zwischen den Gebäuden wahrzunehmen, hinter den Fenstern eine Gestalt vorbeihuschen zu sehen und verborgene Blicke auf mir lasten zu fühlen. Wenn ich dann zu den Tempeln hinaufsah, war nichts davon zu bemerken. Die Fenster erschienen viel zu winzig, um dahinter tatsächlich eine Gestalt erkennen zu können, und der gesamte Komplex viel zu weit entfernt, um überhaupt eine Bewegung auszumachen. Doch selbst als ich überzeugt war, mich getäuscht zu haben, blieb das Gefühl, dass verborgene Augen jeden meiner Schritte verfolgten.
    Zu dieser latenten Angst kam eine Sache, von der ich nicht recht wusste, wie sie sich entwickeln würde: Die übersteigerte Befürchtung, Nauna mit einer Krankheit anzustecken, gegen die ihr Immunsystem nicht gefeit war. Bereits eine Grippe könnte ihren Tod bedeuten. Allerdings hätte ich dazu selbst infiziert sein müssen, was nicht der Fall war. Ich fühlte mich – mal von den Verdauungsbeschwerden abgesehen – gesund und munter. Dennoch ließ mich meine Wankelmütigkeit für einige Zeit auf Distanz zu Nauna bleiben, was ihr keinesfalls entging. Ich hielt unbewusst den Atem an, wenn sie mir nahe kam, entfernte mich ein paar Schritte, wenn ich husten musste, achtete darauf, dass wir aus getrennten Behältern aßen und tranken, und so weiter. Manchmal wirkte sie irritiert darüber und versuchte durch kurze, wie zufällig wirkende Berührungen oder absichtliche Nähe Vertrauen aufzubauen. Letztendlich verstand sie mein Verhalten nicht, und die Sprachbarriere verhinderte, dass ich ihr den medizinischen Hintergrund erklärte. Vielleicht dachte sie daher, ich hätte nach der Geschichte am Fluss Angst vor ihr, leide unter Berührungsängsten oder müsse als ›Gesandter der Aqunaki‹ möglicherweise Abstand zu ihr, einer Sterblichen, wahren. Ich wusste es nicht. Nach drei Tagen kam mir mein Verhalten beinahe schon idiotisch vor, was zur Folge hatte, dass ich es möglichst unaufdringlich wieder änderte.
    Zu Vollmond verschwand Nauna mit der Bitte, ihr nicht zu folgen. Sie verließ das Zelt bei Einbruch der Dunkelheit mit einem vollbepackten Beutel über den Schultern und kehrte erst nach Sonnenaufgang des nächsten Tages wieder zurück. Zuvor hatte sie den halben Nachmittag mit der Verrichtung unergründlicher Riten verbracht; teils Andachten, teils Beschwörungen. Ich wusste nichts über die Religionen der Paläo-Eskimos und welchen Naturgottheiten sie huldigten. Nauna hatte eine Art primitiven Zeremonienaltar im Zelt errichtet; einen behauenen, oft benutzten Steinblock, der die gesamte Zeit von einem Fell verdeckt als Sitzgelegenheit gedient hatte. Ich hatte mich

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