Imagon
nicht von hier kommen können … nicht aus diesem Land, nicht aus dieser Zeit … Weiße und Farbige … Asiaten, Europäer, Araber, Schwarzafrikaner … man bringt mich zum letzten freien Quader – Mein Gott, es ist ein Plan! … Sie werden sie zurück in die Welt schicken … sieben Menschen unterschiedlicher Zeitalter und Epochen … ich bin der Letzte … der Siebte!
(Es folgt wiederum eine Pause. Dr. Silis zeigt zunehmende Stresssymptome.)
Nauna! Ich kann sie sehen! … Sie liegt auf einem der Quader … in ihrem Blut … all das Blut aus ihrem Schoß … Zahllose seiner Fäden führen in ihn hinein … bewegen sich unter ihrer Haut … winden sich durch ihren Unterleib … wimmelnd und drängend … ich kann ihr nicht beistehen … sie lassen mich nicht aus ihrem Griff … seine Nähe ist unerträglich … sie ziehen mir die Kleider vom Leib … entblößen mich vor seinem Antlitz … schwärmend, gleitend … sein gesamter Körper starrt mich an … kann nicht gegen seinen Willen aufbegehren … jeder meiner Gedanken ist sein Gedanke, jeder Atemzug ist sein Geruch, sein Wille … jedes Molekül schwingt mit seinen Bewegungen … so anders … unbegreifliches Innen … unergründliche Schattenwelt aus lebendiger und abgestorbener organischer Masse … Höhlen des Qur … nabra Qur … nabra zyphhr …
Dr. Silis sinkt für längere Zeit in einen tranceartigen Zustand. Er stammelt dabei in einer kehligen Fantasiesprache, die ich allenfalls in phonetischer Schrift wiederzugeben vermag. Ich lege dem Protokoll daher die Audioaufzeichnung bei und überlasse die Auswertung und die eventuelle Sinnfindung den zuständigen Experten.
(Wieder verständlicher): … sie legen mich auf den Quader … sehe Nauna nicht mehr … nur noch augenlose Fratzen und ihn … die siebte Larve ragt über mir auf … wiegt ihren Leib wie zu einem tonlosen Tanz … meine Larve … sie war es, die mich auf der Klippe empfangen hat …
(Dr. Silis atmet zunehmend konvulsivisch. Seine Pupillen sind extrem geweitet, seine Augen zeigen einen fiebrigen Glanz. Pulsfrequenz überschreitet den kritischen Punkt. Myokardinfarkt jederzeit möglich.)
… er ist bei mir … leuchtend … schillernd … er berührt mich … seine Fühler betasten meinen Körper, streichen über meine Haut … ich fühle seine Zeichen … sie brennen wie Feuer … es schmerzt … es schmerzt! …
Danach für Minuten nur noch unverständliche Schreie. Um 13:29 fällt Dr. Silis in einen komaartigen Zustand, der über elf Stunden lang anhält. Offizielles Ende der Hypnosesitzung: 13:31 Uhr.
Schlussbemerkung des durchführenden Arztes: Dr. Silis befand sich während der Zeit seiner Besinnungslosigkeit unter meiner und Prof. DeFries’ medizinischer Aufsicht. Gegen 00:40 erwachte er langsam aus dem Koma – ohne Erinnerung an das unter Hypnose Erfahrene und ohne auffallende Nachwirkungen. Was er in den besagten elf Stunden (womöglich) auf der anderen Seite erlebt hat, wird hoffentlich für immer in seinem Unterbewusstsein verborgen bleiben.
P. R.
18
War das eine Antwort?
Die Antwort auf Rijnhards Streben nach Wahrheit und den Zusammenhängen dieses Albtraums?
Ich legte die letzte Seite des Protokolls neben mich und blickte ziellos über den Grund des Kraters. Ein Windstoß hob das Blatt von den Gitterrosten und trieb es davon. Ich machte mir nicht die Mühe, es aufzuhalten. Mutter Natur wusste schon, was sie tat. Diese wahnsinnige Hure wusste es immer. Meine Augen zuckten kurz nach rechts, und als ich sah, dass die Seite verschwunden war, beschlich mich ein Gefühl der Zufriedenheit. Mein Platz war aufgeräumt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Der Wind hatte auch die restlichen Blätter des Protokolls von der Wartungsplattform geweht, wo sie nun zwischen Funkmast und Infra-Block über das Eis gewirbelt wurden. Es war mir egal. Rijnhard hatte die Daten sowieso in seinem Computer gespeichert. Sollte er die umherwirbelnden Blätter doch einsammeln, wenn er wollte. Auf keinem von ihnen stand ›streng vertraulich‹.
Vierhundert Meter unter mir hatte sich auf den ersten Blick nichts verändert. Kein Geräusch drang zu mir herauf, nichts bewegte sich im Krater außer Schneekristallen, die vom Wind in sanften Wogen über den Eissee getrieben wurden. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es achthundert Meter unter der friedlich erscheinenden Oberfläche aussah. Naunas Zelt, das grüne, von Sumpf und Seen geprägte Tal, die
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