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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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einen Ignoranten wie Sie.«
    »Das gilt für einen Menschen, Rijnhard«, konterte ich. »Ich bin kein Mensch mehr …«
    Der Arzt verzog die Lippen. »Nein, Sie sind ein sich selbst bemitleidender Quiqueg.« Damit drehte er sich um und stieg von der Plattform. »Überschätzen Sie Ihre neue Haut nicht«, hielt er mir im Davonlaufen vor. »Sie haben über zwei Drittel Ihrer Poren eingebüßt. Vielleicht will Ihre Haut Sie einfach nur töten.«
    Ich ließ etwas von dem brühwarmen Kaffee über meine Hand fließen. Er troff durch die Gitterroste und erzeugte ein Muster aus braunschwarzen Löchern im Schnee darunter. Auf meiner Haut fühlte ich nichts. Nicht einmal, dass sie nass war. Ja, womöglich will sie mich töten, dachte ich. Aber nicht jetzt. Nicht heute. Ich schnaubte wütend durch die Nase und starrte in den Krater. Dann studierte ich mein Gesicht auf dem verchromten Deckel der Thermoskanne. Quiqueg war der Name des indianischen, von Kopf bis Fuß tätowierten Harpuniers aus Melvilles Moby Dick. Impertinentes Arschloch von einem Arzt. Rijnhard wusste genau, wo er den Hebel anzusetzen hatte.
    Ich entschloss mich, zu meinem Container zurückzukehren und ein paar Experimente an mir durchzuführen. Beim Zurückschlendern machte ich einen Abstecher zur Messstation. Das Thermometer zeigte minus achtzehn Grad Celsius. Der Wind hatte eine der Protokollseiten an ihren Fuß getrieben, wo sie hängen geblieben war. Ich hob das Blatt gedankenlos auf und überflog den Text noch einmal.
    Ich weiß nicht, wie lange ich neben der Messsäule stand. Ich sah Naunas zweiten Brief vor meinem geistigen Auge, las wieder und wieder die Textstelle auf dem Protokoll und fühlte hinter mir das Dunstbild einer metamorphen Masse aus dem Krater wachsen. Den Geist einer Wahrheit. Und eine grauenhafte Ahnung.
     
    Ich gab mir nicht die Mühe, anzuklopfen, sondern stieß die Tür zum Funkraum so energisch auf, dass Hagen, der mit einem Klemmbrett in der Hand neben dem Eingang saß, erschrocken von seinem Stuhl aufsprang. DeFries stand mitten im Zimmer, Maqi lehnte ausnahmsweise mal an der falschen Tür, der zum Biolabor. Der Inuit sah DeFries an, offenbar in Hoffnung auf die Anweisung, mich aus dem Zimmer zu werfen.
    »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«, empörte sich DeFries lautstark.
    Er hätte wohl noch mehr protestiert, hätte nicht ein plötzlicher Hustenanfall seine Stimme erstickt. DeFries krümmte sich unter Schmerzen und stützte sich am nächstgelegenen Schreibtisch ab. Mit zitternden Fingern zog er ein Plastikfläschchen aus der Tasche seiner Wolljacke, entnahm ihm ein paar kleine gelbe Pillen und steckte sie sich in den Mund. Hagen reichte ihm eine Mineralwasserflasche.
    »Ich muss an Ihr Funkgerät«, erklärte ich. Ohne auf eine Antwort zu warten, setze ich mich vor die Anlage und zog das Mikrofon heran. Hagen tauchte blitzartig neben mir auf. Mit einer Hand umschloss er das Mikrofon, mit der anderen blockierte er den Ein/Aus-Schalter.
    »Sie nicht!«, stellte er barsch klar.
    Ich stieß ihn fort. Es war, als bestehe der Chemiker aus Styropor. Das Mikrofon immer noch umklammernd, torkelte er durch den Raum und krachte gegen den gegenüberliegenden Kabelschrank, wo er stöhnend zu Boden ging. Das Mikrofon hatte er auf halbem Wege fallengelassen und beim Rückwärtstorkeln das Kabel aus der Anschlussbuchse gerissen. Vom Krach angelockt, stürzte Rijnhard in den Funkraum, gefolgt von einem schlaftrunken blinzelnden Inuitarbeiter. Ich benötigte nur einen Sekundenbruchteil, um das, was soeben geschehen war, zu begreifen. Wortlos stand ich auf und langte nach dem Mikrofon, als Maqi mich auch schon gepackt hatte. Er hielt mich umklammert und versuchte, mich umzureißen, doch ich sprengte seinen Griff, als habe man mich mit Faschingspapierschlangen gefesselt. Ohne nachzudenken packte ich seine Hand und drückte zu. So laut und deutlich wie in diesem Augenblick hatte ich Maqis Stimme noch nie zuvor vernommen: Er schrie vor Schmerzen! Ich packte ihn am Kragen seines Anoraks und hob ihn in die Höhe. Maqi mochte mindestens 180 Pfund wiegen. Nun hing er an meiner ausgestreckten linken Hand wie eine Stoffpuppe an einem Kran.
    »Schluss damit!«, hörte ich Rijnhard brüllen. »Silis, hören Sie in Gottes Namen auf!«
    Ich zögerte, als hätte ich ihn nicht verstanden, dann sah ich – den Inuit noch immer zwanzig Zentimeter über dem Boden haltend – den Arzt an. Rijnhards Augen waren wie die Hagens schreckgeweitet. Während

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