Imagon
fünfzehn Minuten, um darüber nachzudenken.«
Der Bildschirm erlosch.
20
DeFries erholte sich nach Einnahme mehrerer Pillen zusehends. Zögerlich kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück, und seine schmerzverzerrten Züge entspannten sich. Allerdings schien er mehr Pillen geschluckt zu haben als gut für ihn gewesen wären, denn er wirkte nach kurzer Zeit, als sei er vollkommen stoned. Rijnhard, Stomford und ich wechselten während unserer Bedenkzeit kaum ein Wort; nicht zuletzt auch wegen der hochempfindlichen Mikrofone, die versteckt im Modul installiert waren. DeFries hingegen führte einen halb lauten Monolog mit sich selbst. Mal wirkte er geistig hellwach und bewies einen messerscharfen Verstand, um Augenblicke später wieder völlig verwirrt zu erscheinen. Ich lauschte mit geschlossenen Augen seinen Worten und hatte dabei den Eindruck, DeFries’ vernünftige Hälfte unterhalte sich mit seiner umnachteten. Er redete von den »anderen Toren« und dem »verborgenen Sternbild«, von den »älteren Göttern« und davon, dass »die Quallen ihren Schatten durch die Meere folgen«, von der »Zeit, in der Qurin das Nichts unseres Universums schlüpfen wird«, und von vielen anderen Dingen, die keiner von uns verstand. Dazwischen murmelte er immer wieder: »Terra tegit terram … caro tegit carem …«
Sein Zustand berührte uns auf sehr unangenehme Weise und war mit ein Grund für unser Schweigen. Ich kann mich nicht erinnern, meinen einstigen Mentor je in einer solchen Verfassung erlebt zu haben. Vielleicht war es die Gewissheit, keine Macht mehr über das Kommende zu besitzen, was ihn auf diese bedauernswerte Weise resignieren ließ; die Gewissheit, versagt zu haben und fortan einem unbegreiflichen Schicksal ausgeliefert zu sein.
Als Broberg die Verbindung zu unserem Modul wieder hergestellt hatte und Krogh seine Fragen bezüglich der Chronologie der Ereignisse vor meiner Ankunft stellte, schilderte ihm DeFries all das so eindruckslos und gleichmütig, als sei er in Wirklichkeit gar nicht dabei gewesen.
Seinen Worten zufolge war es Soerensen gewesen, der sich als erster ›infizierte‹.
Er, Tielles und Jorgensen stießen beim Errichten der ersten Geophon-Traverse auf die Gletschermühle. Zwar wussten DeFries’ und seine Mannschaft bereits seit Beginn der Grabungen von der Öffnung, doch als Geologe war Soerensen überrascht, welche Dimensionen die Gletschermühle innerhalb weniger Wochen erreicht hatte. War sie zu Beginn kaum einen halben Meter groß gewesen, klaffte nun plötzlich ein drei Meter durchmessender Schlund im Eis. Die Tatsache, dass das Schluckloch aus mysteriösen Gründen immer größer wurde, beflügelte Soerensens und Tielles’ Ansichten über den Verursacher des Kraters. Von einem noch immer Wärme abstrahlenden Meteoriten über eine Thermalquelle bis hin zu Vulkanismus reichten die Mutmaßungen. Um der Sache auf den Grund zu gehen, entschloss sich Soerensen, sich mit Hilfe einer Hydraulikwinde in die Tiefe abseilen zu lassen. Die Wände des Schlucklochs waren vom Schmelzwasser glatt gewaschen und der Eisschacht breit genug, um ihn zu erkunden, ohne sich an scharfkantigem Eis zu verletzen. Soerensen war der Einzige in der Mannschaft, der mit Unternehmen dieser Art Erfahrung gehabt hatte.
Schon aufgrund der vermutlichen Tiefe des Schachtes äußerten DeFries, Jorgensen und Rijnhard Bedenken. Das Risiko eines derartigen Unternehmens sei ab einer gewissen Tiefe unberechenbar. Das womöglich über Hunderte von Metern Länge abgerollte Seil könnte aufgrund der enormen Belastung reißen. Würde Soerensen dagegen mindestens alle zwanzig Meter einen Wandhaken ins Eis treiben, um sich zu sichern, könnte man ihn notfalls nicht mehr problemlos nach oben ziehen. Sollte zudem tatsächlich geothermische Energie und nicht das Schmelzwasser sich für die Gletschermühle verantwortlich zeigen, könnte der untere Bereich des Schachts mit giftigen Gasen gefüllt sein.
Am Abend vor dem geplanten Abstieg fielen DeFries und den anderen Dutzende naheliegender und spekulativer Gründe ein, die das Vorhaben gefährden könnten. Dennoch wollten alle nur das eine: wissen, was in der Tiefe unter dem Eis verborgen war. Soerensen ließ sich daher nicht im Geringsten von seinem Plan abbringen, erklärte sich aber bereit, ein Kitagawa-System zur Messung eventueller toxischer Gase mitzuführen.
Tags zuvor hatte Hansen bereits eine stabile Hydraulik-Standwinde aus Scoresby eingeflogen. Für Soerensens
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