Imagon
Dutzend Kartons befand sich noch in dem Behälter. Sie enthielten jedoch immer noch genug Sprengstoff, um DeFries’ zweifelhaftes Vorhaben zu verwirklichen.
Ich verharrte nachdenklich vor der Truhe. Was wollte DeFries mit der Sprengung des Tores wirklich bezwecken? Hatte er lediglich vor, die Deckplatte in die Luft zu jagen? Das Resultat war in jedem Fall ein offenes Tor. Und dann …?
»Haben Sie es gefunden?«, hörte ich DeFries rufen.
Ich schreckte auf. »Ja«, rief ich zurück.
»Dann beeilen Sie sich, uns bleibt nicht mehr viel Zeit!«
Ich belud den ersten Rucksack mit so viel Ropan, wie ich glaubte, DeFries beim Laufen zumuten zu können. Nachdem er die erste Ladung nach oben gezogen hatte, stopfte ich meinen eigenen Rucksack voll und war bereits dabei, wieder hinaufzuklettern, als mir etwas einfiel.
»Wo sind die Zünder?«, rief ich.
Zuerst erhielt ich keine Antwort. Dann tauchte DeFries’ Kopf über dem Rand der Öffnung auf. »Hier«, antwortete er. Eine Sekunde später flog etwas Längliches in die Tiefe und landete neben der Ropan-Truhe auf dem Eis. Ich starrte es ungläubig an, doch ehe ich einen klaren Gedanken zu fassen vermochte, gab das Seil, an dem ich hing, plötzlich nach. Die Hallenwände rauschten an mir vorbei, flüchtig angeleuchtet vom Strahl meiner Taschenlampe, die ich in meinen rudernden Armen umherschwenkte. Bevor ich in der Lage war, einen einzigen Laut des Entsetzens von mir zu geben, schlug ich auch schon zehn Meter tiefer auf dem Berg aus Eistrümmern auf und rutschte den Hang hinab gegen eine Wand. Der Aufprall riss mir den Helm vom Kopf und presste mir die Luft aus den Lungen. Nach Sekunden der Desorientierung kam der Schmerz. Er begann in meiner Wirbelsäule, fraß sich durch meinen Körper, bündelte sich in meinem Kopf und raubte mir fast die Besinnung. Das Ropan!, überschrie ihn die innere Stimme. Die Truhe … das Eis … Tonnen von Eis!
Noch immer hielt ich die Mag-Lite umklammert, ihren Strahl ziellos auf die Hallendecke gerichtet. Ich wollte atmen, aber die geprellte Lunge ließ es nicht zu. Ich versuchte mich zu bewegen, doch mein gesamter Körper war wie gelähmt. Zünder … schrie die Stimme in mir, Zünder, Zünder, Zünder … Das Eis gab weiter unter mir nach, ließ mich tiefer sinken. Es geht immer tiefer hinab, Akademiker, höhnte die andere Stimme, tiefer und tiefer. Für dich kann kein Abgrund tief genug sein … Während ich durch das Loch in der Decke starrte und auf den alles beendenden Lichtblitz wartete, fühlte ich plötzlich eine Berührung an meinen Schultern. Etwas packte mich, riss mich kräftig nach hinten und gleichzeitig nach unten, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass ich verwundet war oder mich an den scharfen Eiskanten verletzte. Ich nahm ein gespenstisches Leuchten wahr, dann befand ich mich plötzlich in einem engen, von Eissplittern bedeckten Stollen. Mit dem Gesicht voraus rutschte ich gegen einen Stapel metallischer Gegenstände und war kaum zur Ruhe gekommen, als eine gewaltige Explosion mir schier die Trommelfelle zerriss. Die Druckwelle blies eine Wolke aus Eiskristallen wie Schrapnelle in den Stollen hinein, dann ertönte ein Bersten und Beben, das den Tunnel fast zum Einsturz brachte, ehe das Getöse von einem Augenblick zum anderen verstummte.
Zuerst begriff ich nicht, warum ich noch am Leben war. Dann zwang ich mich zu einem ersten, quälenden Atemzug. Ich starrte auf den Eingang des Stollens. Er war vollkommen verschüttet. Von der Angst geleitet, das Eis könnte sich weiter in den Tunnel voranschieben und mich begraben, kroch ich mühsam ein Stück rückwärts. Wieso, Jon?, dachte ich. Wieso? Ich krümmte mich zusammen wie ein Fötus und lag – halb unter Eis begraben – im Halbdunkel.
Halbdunkel …
Ich blinzelte auf die Taschenlampe. Lediglich ihren Schaft hielt ich in meiner Hand. Das Reflektionsgehäuse lag daneben, nur noch durch zwei Kabel mit dem Schaft verbunden. Die Lampe selbst war aus.
Ich schielte nach links. Die Metallteile, in die ich geprallt war, entpuppten sich als ein Haufen Aluminiumflanschen. Hinter ihnen lagerten lange, schwarze Kunststoffschläuche. Meine Hand fuhr über meine schmerzstechende Brust. Ein Trageriemen meines Rucksacks war gerissen, der andere hing noch an meiner Schulter. Der Rucksack lag neben mir, sein Inhalt – Ropanpäckchen und Brobergs Pistole – waren über den Boden verstreut.
Halbdunkel …
Irgendwo hinter mir hörte ich ein fließendes Geräusch, begleitet von
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