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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Talalinqua eine abscheuliche Vision in mir herauf: Ich sah mich langsam zu einem formlosen, elastischen Geschöpf mutieren, das bald keine Knochen mehr besitzen und sich nur noch fließend, kriechend und schlängelnd voranbewegen würde; zu einem jener Wesen, die DeFries ›die Anderen‹ genannt hatte.
    Zitternd betrachtete ich meine Hände. War da nicht bereits ein Hauch von Transparenz? Wirkte das Narbengewebe auf den Armen nicht schon glasig und schillernd …?
    Ich schaltete die Mag-Lite aus. Absolute Dunkelheit umgab mich. Nichts an mir lumineszierte wie bei Chapmann, Talalinqua oder dem Shoggothen. Ich ballte die freie Hand zur Faust, hörte die Gelenke knacken.
    »Gottverfluchte Scheiße!«, zischte ich.
    Behalt’ jetzt einen kühlen Kopf, schalt mich die innere Stimme. Reiß dich zusammen. Du bist noch nicht tot!
    Den zweiten, weitaus gravierenderen Knacks erhielt mein Selbstvertrauen, als ich im dritten Raum anlangte. Wie festgewachsen blieb ich am Ausgang des Tunnels stehen und ließ den Lichtkegel der Taschenlampe auf den vier großen, spaltartigen Öffnungen verweilen, die in der Wand klafften und in unergründliche Tiefen des Berges führten. Ein Mensch würde nicht hindurchpassen, soviel war sicher – aber Talalinqua war kein Mensch mehr. Ich hatte gesehen, wie er seinen Gallertkörper verformt hatte. Er konnte in eine dieser Spalten schlüpfen; tief hinein, bis ihn der Strahl der Mag-Lite nicht mehr erfasste. Dort brauchte er bloß abzuwarten, bis ich den Raum wieder verlassen hatte und weiter in den Tempel vorgedrungen war, um mir anschließend in den Rücken zu fallen.
    Vielleicht erscheint es angesichts der unmenschlichen Natur meines vermeintlichen Gegners lächerlich, aber ich entsicherte Brobergs Pistole und behielt sie fortan schussbereit in der Hand. Mit der Waffe im Anschlag durchschritt ich zügig den Raum. Schon allein die Zuversicht, notfalls auf diese Kreatur schießen zu können, verschaffte mir ein trügerisches Gefühl der Sicherheit.
    Den Boden nach Schleifspuren absuchend, die Talalinquas Gallertkörper hinterlassen haben könnte, stieg ich Raum für Raum hinab. Dabei fiel mir auf, dass nicht nur die Ideogramme in den Eishallen zerstört worden waren, sondern sämtliche Reliefs, die ich bei der ersten Expedition im Tempel entdeckt hatte. Es existierte kein einziges unversehrtes Wandbild mehr. Ständig ließ ich mich von vermeintlichen Geräuschen erschrecken und leuchtete daraufhin minutenlang in die Verbindungstunnel hinein, doch das Wesen blieb verschwunden.
    Als sich schließlich die Kaverne vor mir öffnete, kauerte ich mich von Erinnerungen überwältigt neben dem Eingang zusammen. Weder von DeFries, noch von Talalinqua oder dem Shoggothen war etwas zu sehen. Auch geisterte keine Seuchenarmee in Schutzanzügen durch einen von Flutlicht erhellten unterirdischen Dom. Ich hockte auf dem Boden und starrte in die unfassbare Leere und Finsternis der Kaverne. Das Kreidesymbol, mit dem DeFries den Eingang markiert hatte, prangte noch deutlich erkennbar an der Stollenwand. Angespannt lauschte ich nach dem vielstimmigen Flüstern aus dem Zentrum der Höhle, doch um mich herum herrschte Stille. Vieles hatte ich erwartet, hier unten vorzufinden. Nach all dem, was geschehen war und wie sich die Dinge entwickelt hatten, konnte ich nicht glauben, das einzige lebende Wesen hier unten zu sein. Ich weigerte mich, mir einzugestehen, dass so das Ende der Spirale aussah. Diese Leere und Stille und Dunkelheit – dieses Nichts – erschien mir so banal, so falsch. Und doch wuchs es zum größten Grauen heran, das ich hätte vorfinden können, denn es hatte kein Gesicht …
    Sechzehn Ausgänge besaß die Kaverne. Fünfzehn unerforschte Möglichkeiten, in den Berg vorzudringen, von der Hoffnung begleitet, einer der Tunnel würde hinauf zu jenen Tempelgebäuden führen, die von dem Felssturz oder der Wucht der Explosion aufgerissen worden waren; hinauf ins Freie. Die Batterien der Mag-Lite würden leer sein, ehe ich die Hälfte der Gänge erkundet hatte. Und wer wusste zu sagen, in welch gottlose Regionen des Mount Breva und seiner Vergangenheit sie führen mochten – und ob sie überhaupt alle nach oben führten …? Ich wusste nicht, ob DeFries die Explosion überlebt hatte und auf dem Weg hierher war. Womöglich hatte er seine Arbeit längst erledigt, oder er war auf dem Weg hierher gestorben oder hatte sich verirrt oder … Vielleicht waren sämtliche Ausgänge auch von Eis- und Felsmassen

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