Imagon
einem eigenartigen Flüstern. Das unwirkliche Licht wurde intensiver, fast so, als nähere sich jemand mit einer Phosphorlaterne. Ich verrenkte meinen Hals, warf im Liegen einen Blick hinter mich.
Was ich dort nur wenige Schritte entfernt erkannte, verdrängte augenblicklich die Schmerzen, die meinen Körper heimsuchten. Von meiner Position aus wirkte die schillernde Masse wie eine extreme Verkleinerung des Shoggothen. Sie füllte die Breite des Stollens fast vollständig aus, wobei die Gestalt ständig in Bewegung war. Stumpfe, armdicke Auswüchse ragten dort, wo sich bei einem Menschen der Kopf befindet, aus dem transparenten, gallertartigen Leib, während sich feine, fadengleiche Tentakel über den Boden bis in meine unmittelbare Nähe schlängelten. Fast wirkte es, als sei die Kreatur neugierig, traue sich jedoch nicht, mich zu berühren.
Ich ließ die Taschenlampe los, drehte mich vorsichtig auf den Bauch und streifte den Rucksack ab. Dann erhob ich mich auf alle Viere und wich bis zum verschütteten Eingang zurück. Das Wesen glitt näher, verharrte dann wieder und schien mich abwartend zu mustern. Die Gewissheit, dass dieses Ding mich in den Stollen gezogen und damit – bewusst? – mein Leben gerettet hatte, ließ mich erschaudern. Ich kroch ein Stück vor, worauf die Kreatur wieder zurückwich. Vorsichtig hob ich die Mag-Lite auf und versuchte, sie zu reparieren, ohne das Wesen aus den Augen zu lassen. Vielleicht war es fähig zu erkennen, was ich tat, denn es äußerte wieder dieses Flüstern und zog sich tiefer in den Stollen zurück. Mit zitternden Fingern versuchte ich, das Reflektorgehäuse in der zunehmenden Dunkelheit auf das Schaftgewinde zu drehen. Die Taschenlampe leuchtete jäh auf, was die Kreatur zu einem Zischen provozierte. Ich richtete den Strahl auf sie hinab, worauf das Geschöpf ein schrilles Heulen ausstieß. Sein Körper streckte sich wurmartig in die Länge, wand sich in fast schon panischer Flucht schlangengleich den Tunnel hinab und wurde einen Lidschlag später von der Dunkelheit verschluckt.
Minutenlang leuchtete ich in den Stollen, doch das Wesen blieb verschwunden. Vielleicht täuschte mich mein Instinkt, indem er mich glauben machte, den Namen dieser Kreatur zu kennen. Vielleicht war es auch nur der Schock des jüngst Erlebten, der mein Urteilsvermögen beeinträchtigte. In diesem Moment jedoch glaubte ich, dass das Geschöpf, dem ich gegenübergestanden hatte, Talalinqua gewesen sei.
Aus welchem Grund hatte ausgerechnet er mich vor der Explosion gerettet?
Vielleicht aus Barmherzigkeit, Akademiker, lachte die Stimme in mir spöttisch. Frag lieber: Wieso wollte DeFries dich töten?
Als ich überzeugt davon war, dass die Kreatur nicht zurückkehren würde, solange die Mag-Lite brannte, schloss ich die Augen und horchte in mich hinein. Paradoxerweise schien ich mir weder einen Knochen gebrochen noch sonstige innere Verletzungen zugezogen zu haben. Ich entdeckte nicht einmal Fleischwunden oder Blutergüsse an mir. Weder Schürfwunden noch Schnitte und auch kein Blut. Die langsam abflauenden Schmerzen, die meinen Körper erfüllten, waren die einzigen Zeugen meines Sturzes.
Nachdem ich mich von dem Hüftgurt befreit und das Ropan wieder im Rucksack verstaut hatte, steckte ich Brobergs Waffe in den Hosenbund und schlich den Stollen hinab. Bald darauf stand ich vor dem schmalen Eingang, durch den DeFries, Maqi, Talalinqua und ich vor Tagen den Tempel betreten hatten. Ein rascher Schwenk mit der Taschenlampe ließ mich erkennen, dass der dahinter liegende Raum leer war. Wenige Schritte jenseits des Eingangs jedoch fand ich mehrere Fellbündel auf dem Boden: die zerrissen Kleidungsstücke des Schamanen.
Solange mich die Mag-Lite nicht im Stich ließ, konnte ich sicher sein, das Talalinqua-Wesen vor mir herzutreiben; zumindest bis hinab in die Kaverne. Die Gewissheit, den Rücken frei zu haben, gab mir die nötige Selbstsicherheit, weiterzulaufen; einem bekannten Ziel und einer unbekannten Bestimmung entgegen. Als ich den zweiten Raum erreicht hatte und den Schacht hinabkletterte, fiel mir auf, dass die Schmerzen in meinem Körper abgeklungen waren. Ich verharrte für ein paar Sekunden, gelähmt von der Vorstellung, die genetische Veränderung mochte womöglich nicht mehr allein meine Haut, sondern bereits meinen gesamten Körper erfasst haben. Dass ich mir bei meinem Sturz auf teils massives Eis keinen einzigen Knochen gebrochen hatte, beschwor nach der Begegnung mit
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