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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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wandte sich ab und lief rastlos auf und ab. Dabei klagte er: »Diese Narren haben es nur noch beschleunigt … der Shoggothe kann nicht mehr warten, bis es dunkel ist. Er wird versuchen, nach Qur zu gelangen, Sonne hin oder her … verdammte Partikel im Schmelzwasserdampf … wir hätten Jorgensen nie nach Kopenhagen schicken dürfen … ich muss das Tor erreichen, muss das Tor erreichen, muss … Gott steh mir bei …«
    »Was soll das?«, stutzte ich, als DeFries kommentarlos seine Jacke von Brobergs Körper zog und Anstalten machte, zur Tempelruine zu laufen. »Wohin wollen Sie?«
    »Zu Ende bringen, was ich begonnen habe, solange noch ein Funken Hoffnung besteht.«
    »Das schaffen Sie niemals allein«, rief ich ihm nach. »Kommen Sie zur Vernunft, Jon! Der Eingang ist mit Sicherheit verschüttet, und Talalinqua steckt irgendwo dort unten. Und Sie sind verletzt …«
    DeFries winkte ab.
    »Poul …«, hörte ich Broberg hinter mir keuchen. Dann drängender: »Poul!«
     
    Ein tiefes Heulen ließ mich erstarren. Hinter dem brennenden Wrack wuchs ein riesiger Schatten empor, an dessen Spitze es wimmelte wie auf dem Haupt der Medusa. Weder DeFries noch ich hatten den Shoggothen hinter uns herankommen hören. Lediglich Broberg, der mit Blickrichtung zum Helikopterwrack lag, musste das drohende Unheil erkannt haben. Selbst jetzt konnten wir nicht den leisesten Laut wahrnehmen, während sich die Kreatur über das Eis bewegte. Es wirkte fast, als berühre ihr Körper den Boden gar nicht.
    Zwei ihrer Fangarme stoben herab und droschen das brennende Helikopterwrack beiseite. Die Maschine schlitterte, eine Spur aus brennenden Trümmern hinter sich zurücklassend, fast einhundert Meter weit über das Eis, ehe sie kopfüber liegen blieb.
    Ich weiß bis heute nicht, welch übermütiger Instinkt mich leitete, doch statt mich nieder zu ducken und den alles vernichtenden Schlag abzuwarten, riss ich mir impulsiv den Pullover vom Leib und blieb mit entblößtem Oberkörper vor dem Shoggothen stehen. Sollten die Narben, die meinen Körper bedeckten, tatsächlich Symbole oder Schriftzeichen darstellten und Sedmeluq der Schöpfer dieser morbiden Kalligraphie sein, dann musste die Kreatur sie auf irgendeine Art und Weise erkennen und darauf reagieren. Falls nicht, würde ich den vernichtenden Hieb nur herauszögern. Falls doch …
    Lange stand ich so da, bebend vor Furcht, ehe ich zu begreifen begann, dass der Shoggothe tatsächlich verharrt hatte.
    »Gehen Sie langsam rückwärts«, wies ich DeFries mit trockener Kehle an, ohne dabei das urweltliche Geschöpf aus den Augen zu lassen. Er reagierte nicht, starrte weiterhin wie vom Donner gerührt auf den Berg aus Protoplasma. »Verdammt, gehen Sie schon!«, schrie ich. Sekundenlang blieb alles still. Dann hörte ich, wie DeFries sich schlurfend zu entfernen begann.
    Ich konnte unmöglich sagen, wie der Shoggothe seine Umwelt wahrnahm, auf welche Art und Weise er sah, fühlte, hörte. Über welche Sinne er verfügte und wie diese sein Handeln – und Denken? – bestimmten. Er unternahm keine Anstalten, DeFries zu folgen, zog sich jedoch auch nicht zurück. Aus seinem Leib wuchsen unablässig neue Fangarme, während andere wieder eins wurden mit seinem wogenden Körper. Die Tentakel krochen tastend über das Eis oder fuhren ziellos durch die Luft, ohne uns wirklich zu nahe zu kommen, fast so, als sei der Shoggothe unschlüssig darüber, wie er sich verhalten solle. Ich warf einen kurzen Blick hinauf in die schweren, grauen Wolken, dann hinüber zum westlichen Horizont, wo ein blasser, roter Lichtschimmer die Sonne hinter dem Horizont vermuten ließ.
    Plötzlich durchlief den Shoggothenkörper ein konvulsivisches Wallen, wobei die Kreatur sich aufbäumte und ein schrilles, schauerliches Pfeifen von sich gab, das mir die Trommelfelle zu zerreißen drohte. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich DeFries straucheln und sich mit an den Schädel gepressten Händen auf dem Boden zusammenkrümmen. Broberg, der den Schrei der Kreatur ungedämpft ertragen musste, verzog gepeinigt das Gesicht. Was ich zuerst für eine Äußerung unbändiger Wut hielt, musste in Wirklichkeit ein Schmerzensschrei gewesen sein. Ich konnte beobachten, wie sich die dunklen Körperpartien auf der Oberfläche des Shoggothen rapide vergrößerten. Dabei wirkte es, als würden sie sich noch tiefer in die Gallertmasse hineinfressen.
    Das Wesen schlug wild um sich, zertrümmerte in seiner Pein das Eis um sich herum und sandte

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