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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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mündet und dafür sorgt, dass ständig Luft in der Höhle zirkuliert – bleibt dennoch die Frage offen: Wo, in Gottes Namen, befindet sich dieser zweite Eingang? Sagen Sie jetzt bitte nicht: irgendwo unter uns!«
    Ich zog die Stirn kraus. Basierend auf der Höhenangabe der Limbus-Messstation befanden wir uns hier unten auf dem Kraterboden immerhin noch in einer Höhe von 1200 Metern über Meeresniveau; theoretisch hoch genug, um Richtung Küste und Fjord einen zweiten Eingang zu ermöglichen, der vielleicht am Ende einer Gletscherzunge ins Freie führte. Das Schmelzwasser hatte überall auf Grönland riesige Höhlen in den Eisschild geschmolzen. Das Höhlensystem unter der Inlandeiskappe war vermutlich das gigantischste – und vergänglichste – der Erde. Unwillkürlich musste ich an Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde denken; an eine Hohlwelt. Ich hütete mich jedoch, Chapmann gegenüber auch nur ein Wort über diesen Gedanken zu äußern.
    Der Amerikaner überlegte angestrengt, und sein Gesicht verdüsterte sich. »Angenommen, Sie hätten Recht«, räumte er ein, »können Sie sich auch nur annährend vorstellen, wie viele Millionen Tonnen Eis hier mehr oder weniger frei in der Luft hängen würden? Und was für eine Spannung in diesem Fall auf der Eisdecke lasten würde?«
    »Es sind fast neunhundert Meter bis zum Inselboden. Wenn es abwärts geht, dann richtig.«
    Chapmann sah mich ausdruckslos an, schüttelte dann entschieden den Kopf. »Die Eisdecke wäre längst abgesunken oder eingestürzt. Unter uns befindet sich definitiv Wasser oder massives Eis.« Er starrte auf den unermüdlich in die Tiefe wandernden Fackelrauch. »Mir ist das nicht geheuer. Ich frage mich, ob wirklich wir für diese Sache zuständig sind. Weiß der Teufel, was sich unter uns befindet. Wissenschaftlicher Ehrgeiz hin oder her, aber ich halte es für ratsam, das gesamte Territorium zum militärischen Sperrgebiet zu erklären und zumindest eine Kamerasonde hier runterzulassen. Schon allein um festzustellen, wer von uns beiden Recht hat.«
    »Fühlen Sie das?«, fragte ich, ehe er den Vorschlag äußern konnte, Mertens oder Richards zu informieren. »Es hat etwas Verlockendes – fast wie ein Ruf …«
    Chapmann verharrte, neigte den Kopf über den Abgrund, als lausche er aufmerksam. »Ich fühle nichts«, gestand er nach einigen Sekunden. »Und so etwas wie eine Stimme höre ich schon gar nicht.«
    »Konzentrieren Sie sich.«
    »Sie bilden sich das ein, Poul.«
    Ich streckte den Arm aus und hielt die Fackel über den Abgrund. »Können Sie gut schätzen?«, fragte ich. Ohne seine Antwort abzuwarten, ließ ich die Fackel fallen.
    »Sind Sie bescheuert, Mann?!«, regte sich Chapmann auf. »Nehmen Sie doch gleich einen Müllsack!«
    Gebannt beobachteten wir, wie das strahlende Licht, eine Rauchfahne hinter sich herziehend, in der Tiefe verschwand. Fünfzehn, vielleicht zwanzig Sekunden lang sahen wir es mit angehaltenem Atem immer kleiner und schwächer werden, dann erlosch es plötzlich.
    »Zweihundert Meter«, brummte Chapmann. »Mindestens.«
    »Dreihundert.«
    »Sie muss ins Wasser gefallen sein …«
    »Der Schacht könnte auch eine Biegung vollzogen haben«, hielt ich dem entgegen. »Ein Wunder, dass er überhaupt so weit senkrecht hinab…«
    Ich stockte, denn das Eis hatte jäh begonnen, unter unseren Körpern zu vibrieren. Unnötig, Chapmann zu fragen, ob er es ebenfalls spürte, denn wir lagen beide flach auf den Boden, um den Sturz der Fackel besser beobachten zu können. Innerhalb weniger Atemzüge wurde aus dem sanften Vibrieren ein beunruhigendes Beben. Gleichzeitig stieg aus dem Schluckloch ein Luftschwall, der mit jeder Sekunde an Stärke gewann, bis er uns fast die Kapuzen in den Nacken hob.
    »Was zum Teufel …«, murmelte ich bestürzt.
    Chapmann kroch von der Öffnung fort und riss mich an meinem Anorak mit sich. »Beten Sie, dass die Fackel nicht irgendein Gasgemisch entzündet hat«, rief er gegen das immer stärker werdende Beben und den Sturm an, der aus dem Abgrund herausschoss. »Sonst fliegt uns in wenigen Augenblicken hier alles um die Ohren!«
    Ich rappelte mich auf und versuchte, mich ein paar Schritte zu Fuß vom Schluckloch zu entfernen, doch das Beben war mittlerweile so heftig, dass ich schon nach wenigen Metern stolperte und zu Boden fiel. Der Skidoo drehte sich langsam im Kreis, das Stativ mit der ausgebrannten Signalfackel tanzte von einer Seite auf die andere. Chapmann versuchte auf seine

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