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Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Titel: Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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Bombennächten zu mir geflüchtet bist, muss ich dich ertragen. Wärst du bloß wieder weggegangen. Aber nein, es lebte sich ja gut hier im gemachten Nest. Und meinem Hermann hast du immer schöne Augen gemacht. Dass du dich nicht schämst!«
    Ich kannte die Litanei noch von früher. Nur der Nachsatz war neu: »Tu mir den Gefallen, und segne vor der Beerdigung das Zeitliche. Dann habe ich meinen geliebten Mann wenigstens im Tode für mich.«
    Über Gretes rundes und erstaunlich faltenarmes Gesicht rollten ein paar Tränen. Auch das war neu. Meine Oma hatte es nie so mit Gefühlen gehabt.
    Marie dagegen tat, was sie in solchen Momenten schon immer getan hatte. Sie stöhnte einmal auf, schloss den Mund und sagte nichts mehr.
    Inzwischen hatte ich mich wieder bewegen können und war jetzt so nah dran, dass die beiden Schwestern mich trotz ihrer altersschwachen Augen erkennen konnten.
    »Nele«, sagte Grete in einem Ton, als wäre ich erst vor einer Stunde vom Hof gefahren, um niemals wiederzukommen. Nicht vor dreizehneinhalb Jahren. »Sag deiner strohdummen Großtante, sie kann schmollen so viel sie will. Zur Beerdigung darf sie trotzdem nicht mit.«
    Schweigen konnte manchmal ganz hilfreich sein, fand ich. Falls das jetzt ein neues Familienhobby wurde, war ich dabei.
    Ich beugte mich herab, umarmte kurz meine Oma und ein wenig länger Großtante Marie. Die hatte ich schon immer lieber gemocht. Sie war früher nie so streng gewesen wie Grete, und wenn ich mal wieder ohne Abendbrot ins Bett geschickt worden war, weil ich was ausgefressen hatte, dann war es ihr immer gelungen, spätabends noch ein Schmalzbrot oder einen Rest Bratkartoffeln in meine Kammer zu schmuggeln.
    Schon als Kind hatte ich gespürt, dass sie eine tiefe Traurigkeit in sich trug, von der niemand etwas wissen sollte. Und wenn es schlimm wurde, wenn Maries Blick sich verdunkelte, wenn ihre Hände zitterten vor lauter Anstrengung, ihre Traurigkeit in sich zu verschließen, dann war sie plötzlich weg, für Tage, manchmal Wochen. Erst kurz bevor ich nach München zog, traute ich mich zu fragen, wohin sie damals gefahren war.
    »Nach Bayern«, sagte sie.
    Ich war überrascht, fühlte mich aber zugleich mit ihr verbunden. Mich zog es ja in denselben Süden.
    »Und was hast du da gemacht?«
    Marie blickte mich lange an, bevor sie flüsterte: »Ich habe geweint.«
    Eine Tränenreise.
    Mehr hatte sie mir nie verraten.
    Daran musste ich jetzt denken, als ich sie vor mir sah, klein, zart, eingesunken, während Grete ihre stets kräftige Figur behalten hatte.
    »Kriegst du jetzt auch nicht mehr die Zähne auseinander?«, erkundigte sich Grete bei mir. Sie nickte in Richtung Marie. »Los, bestell ihr, was ich gesagt habe.« Wenn ihre unwesentlich jüngere Schwester verstummte, tat Grete gern so, als sei sie gleichzeitig auch taub geworden. Grete-taub sozusagen.
    Einer von einer Million Gründe, warum ich damals weggegangen war.
    Den nächsten lieferte Grete gleich hinterher. Sie kniff die Augen zusammen, fixierte mich mit strengem Blick und sagte: »Hast dich ja in Schale geworfen, aber das ändert auch nix. Besonders plietsch bist du ja nie gewesen, und jetzt ist es schlimmer geworden. Denkst du etwa, der Karl will noch was von dir?«
    Bevor ich etwas erwidern konnte, etwas total Geistreiches, das Oma Grete vom Gegenteil hätte überzeugen können, stand sie mit Schwung aus der Hollywoodschaukel auf. Ich packte Großtante Marie am Arm, bevor sie herauskatapultiert werden konnte. Vorsichtig half ich ihr auf die Beine.
    Dann starrte ich Grete hinterher, die schwungvoll zur Dorfstraße marschierte. Täuschte ich mich, oder wirkte sie jünger als früher? Hatte womöglich der plötzliche Tod ihres Mannes ihre Lebensgeister geweckt?
    Gruselig.
    Am Hoftor drehte sie sich noch einmal um. »Ich mache jetzt meinen Abendspaziergang. Bist übrigens doch ganz plietsch, Nele. Hast ja meinen Hermann heimgebracht.«
    Marie entglitt mir und plumpste zurück.
    Ich beschloss, mich im Baggersee zu ertränken. Mit etwas Glück gab’s den noch.
    Mama kam heraus und steuerte auf die Garage zu.
    »Deine Sachen sind in deinem alten Zimmer«, rief sie mir zu. »Ich hab nur die Urne aus dem Koffer geholt und aufs Büffet im Wohnzimmer gestellt. Hübsches Stück. Hast du gut gemacht, Nele. Bis morgen oder übermorgen. Ciao.«
    »Wo fährst du denn hin?«, krächzte ich.
    Sie hörte mich nicht mehr. Zwei Sekunden später schoss ein knallrotes Cabrio aus der Garage. Das hatte es damals noch

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