Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
nicht gegeben. Auch keine Mutter, die gleich für zwei Tage wegfuhr. Ein paar Stunden lang war Mama schon immer gern verschwunden, aber das hier sah mir nach einer Gewohnheit aus, die mit schöner Regelmäßigkeit betrieben und ausgedehnt wurde. Nach einer Tränenreise wie früher bei Großtante Marie sah es auch nicht aus. Das Cabrio wirkte nicht besonders traurig, und meine lachende Mutter hinter dem Steuer schon gar nicht.
Mir war ein bisschen kalt, weil ich im Geiste gerade im Baggersee versank. Und weil ich mich verlassen fühlte. Fremd an diesem Ort, der mal meine Heimat gewesen war. Oder nicht? War ich selbst nicht auch eine Meisterin im Verdrängen? Hatte ich mich jemals heimisch und den Lüttjens zugehörig gefühlt?
Nie.
Schmale Finger mit pergamentener Haut schoben sich in meine eiskalte Hand.
Großtante Marie blinzelte zu mir hoch. Wir verstanden uns stumm. Wie immer. Sie war auch eine Fremde, eine, die anders war.
Es fühlte sich an wie Winter.
»Wollen wir uns in der Küche einen schönen steifen Grog machen?«, fragte ich. Grog war besser als Baggersee. Wärmer. Beinahe heimelig.
Sie nickte, ließ sich ein zweites Mal hochziehen und ins Haus führen.
Erst jetzt fiel mir die Stille auf. Wo waren die tobenden Kinder? Wo die Väter, die sich in breitem Berlinerisch die Abenteuer des Tages erzählten? Wo die Mütter, die sich im Liegestuhl von der Heidewanderung erholten?
Wo zum Teufel waren die Feriengäste?
Gespenstisch.
5.
So’n Schiet
»Ich hab alle nach Hause geschickt«, erklärte mir Papa eine halbe Stunde später in der großen Bauernküche. Eiche rustikal, rot-weiß karierte Tischdecke, Töpfe und Backformen über dem Herd. Spießig und kitschig. Ich stehe mehr auf klare Linien, viel Weiß und Stahl, kein Schnickschnack. Eine Sammlung gehäkelter Kaffeewärmer und geschnitzte Herzen in den Stuhllehnen sind nicht so mein Ding.
Olaf Lüttjens passte in dieses Ambiente. Ich nicht.
»Wegen unseres Trauerfalls«, fügte er hinzu.
Ein sanftes Schnarchen antwortete ihm. Großtante Marie lag auf der Eckbank und schlief. Mein Grog war vielleicht ein wenig zu steif geraten. Ein Drittel Rum, zwei Drittel kochendes Wasser. Oder umgekehrt? Lange her, dass ich so was zubereitet hatte. Mir war auch grad etwas schwummerig im Kopf.
»Ach so«, sagte ich. Klang wie: »Aaschooo.«
Papa schaute mich an. »Ein Kaffee würde dir guttun. Ich bring Marie mal ins Bett.«
So sanft, dass es mir die Tränen in die Augen trieb, hob er seine Tante hoch und bettete sie in seine Arme. Kurz öffnete Marie die Augen. »Mein Lieber«, flüsterte sie. »Mein Stern, mein Lebenslicht.«
Mann, war der Grog stark gewesen! Jetzt halluzinierte ich schon.
»Kaffee«, sagte Papa an der Tür noch einmal zu mir.
Ich wollte ihm erklären, dass ich schon seit Jahren nur noch Latte macchiato trank oder tibetischen Kräutertee. Aber da sank mein Kopf schon auf die karierte Tischdecke und blieb dort liegen.
Als ich aufwachte, kitzelte mich die Morgensonne im Gesicht. Von draußen klangen die Geräusche des platten Landes herein. Hühner gackerten, ein Treckermotor wurde angeworfen, die Ponys wieherten, und jemand rief einen Morgengruß über den Hof.
Ich lag ich in meinem früheren Zimmer, trug ein geblümtes Nachthemd, das mir niemals gehört hatte, und schaute direkt auf ein Bravo- Poster von Take That. Mit dem sehr jungen Robbie Williams. Auf meinem alten Bücherregal stapelten sich Hermann Hesse, Jack Kerouac und J. D. Salinger. Na gut, Nora Roberts, Wilbur Smith und Wolfgang Hohlbein hatten sich da auch reingeschmuggelt. Und in zweiter Reihe tobten bestimmt noch Hanni und Nanni mit dem doppelten Lottchen und Benjamin Blümchen durch alle möglichen Abenteuer.
Komisch, dachte ich, dass sie alles so gelassen haben, wie es gewesen war. Als könnte ich jederzeit zurückkehren und wäre dann wieder die Tochter, die sie kannten. Aufmüpfig, aber vertraut.
Meine Zimmertür wurde aufgestoßen, und ein Wesen mit kurzen, dunklen und hochgegelten Haaren, im schwarzen Seiden-Overall und kam mit einem Tablett herein.
»Moin, Kröte.«
Ich rieb mir die Augen. Es musste mein Bruder sein. Nur er durfte mich so nennen, seit ich mit zehn eine braungrüne warzige Erdkröte mit riesigen Glupschaugen zu meinem neuen Haustier erklärt hatte. War nicht lange gut gegangen, die Sache. Opa Hermann hatte kurzerhand mit dem Spaten zugeschlagen.
Eine Weile starrte ich ungläubig auf das schwarz gestylte Wesen. Mein Bruder und ich standen
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