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Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Titel: Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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schwer und ziemlich groß. Ich dachte an Papa. Er schien mir der Einzige zu sein, in dessen Innern kein Sturm tobte. Oder? Was, wenn sich in ihm schon seit Langem ein Donnergrollen sammelte, das sich irgendwann über seine flüchtende Frau und uns alle ergießen würde? Wie sollten die Lüttjens heil daraus hervorgehen? Und was ging mich das eigentlich noch an? Ich war raus aus der Sache. Schon vergessen, Nele? Nabelschnur durchtrennt. Definitiv.
    Sissis Eltern fielen mir ein. Ein Lehrerpaar aus Köln, das seine einzige Tochter über alles liebte. Punkt. Nur diese drei Menschen. Seit Sissis Pubertät keine Konflikte mehr, keine weiteren durchgeknallten Familienmitglieder, keine dörfliche Engstirnigkeit, keine Geheimnisse, die durch ein altes Niedersachsenhaus waberten wie der Nebel über die Weiden an einem Wintermorgen. Da wäre ich lieber aufgewachsen, mit Sissi als Schwester und ohne die gesammelten Lüttjens.
    Ich betrachtete Jan, der sich jetzt zu mir aufs Bett setzte, und korrigierte mich: Dieses eine Familienmitglied wollte ich behalten.
    »Erzähl mir von Opa Hermann«, bat mein Bruder leise.
    Ich schlug die Decke zurück. »Komm her.«
    Also kuschelten wir wie früher als Kinder, hielten uns bei den Händen, und Jan lauschte meinem Bericht über die Ereignisse in München.
    Erneut verpasste ich die Chance, ihm die ganze Wahrheit zu erzählen.
    »Weißt du noch, wie uns Opa das Reiten beigebracht hat?«, fragte Jan.
    »Wie könnte ich das vergessen?« Ich war sechs und Jan war viereinhalb gewesen. Da hatte Hermann Lüttjens seinen Hannoveraner-Hengst Hadrian aufgezäumt, hatte erst mich und danach Jan vor sich in den Sattel gesetzt und war eine Stunde durchs Gelände geritten. In sämtlichen Gangarten! Mama hatte sich furchtbar aufgeregt, aber Opa hatte nur gelacht und gesagt, noch hätten alle Lüttjens auf diese Weise reiten gelernt. Tatsächlich beeilten Jan und ich uns danach, sehr schnell allein auf einem Pony sitzen zu können. So einen Ritt mit Opa wollten wir uns nicht mehr antun.
    »Oder das Schwimmen?«
    Ich nickte wieder. Ins Wasser werfen und warten, ob das Kind überlebt, war auch so eine Opa-Hermann-Methode gewesen.
    Wir kicherten, weinten ein bisschen um unseren Patriarchen und tauschten weitere Erinnerungen aus. Zwischendurch stand Jan auf, verließ mein Zimmer und kam gleich darauf mit einer Flasche eisgekühltem Prosecco zurück. »Hab ich tief unten im Kühlschrank versteckt.«
    »Ferrari«, sagte ich anerkennend. Der konnte durchaus mit meinem geliebten Berlucchi konkurrieren.
    »Ich werde noch zur Säuferin.«
    »Wie willst du die Tage hier sonst überstehen?«
    »Auch wieder wahr«, erwiderte ich und kippte den Inhalt meines Glases runter. Nach der halben Flasche hatte ich genug Mut gesammelt, um ein volles Geständnis abzulegen.
    Jan starrte von der Ferrari-Flasche auf mein Glas, auf mich, wieder auf die Flasche. Das wiederholte sich einige Male, bevor er sich erkundigte: »Opa seine Asche ist weg?«
    Ich nickte, trank das nächste Glas.
    »Und vorher bist du mit der Urne aus dem Krematorium geflüchtet?«
    Meiner Meinung nach klang das viel zu dramatisch. »Ich weiß nicht mehr genau, was passiert ist, aber Sissi wird dichthalten, wenn die Polizei nach mir sucht.«
    Jans Augen weiteten sich. »Dann hast du die Asche von der Urne in eine Tupperdose umgefüllt und die Tupperdose im ICE liegen lassen?«
    Mein Nicken geriet zum verzweifelten Kopfwackeln.
    »Und was ist dann in der Urne unten auf dem Büffet? Kaffeepulver?«
    »Würde man riechen«, erklärte ich voller Logik.
    »Mehl? Zucker? Salz? Erde aus deinen Blumentöpfen? Die Wollmäuse von unter deinem Sofa? Die …«
    »Jan, hör auf!«
    Mein Bruder brach in hysterisches Gelächter aus. Mir war gerade nicht danach, mitzulachen.
    »Die Urne ist leer. Fällt auch nicht weiter auf. Opa hat ja nicht mehr … äh … viel gewogen.«
    Jan prustete noch lauter, er hielt sich den Bauch und schlug mit der flachen Hand auf die Bettdecke. Das konnte noch eine Weile dauern.
    Ich stand auf, holte mein Notebook aus der Tasche und klappte es auf. »Wie ist das Kennwort für den WLAN -Anschluss hier?«, fragte ich meinen Bruder. Der schien eine ganz normale Frage besonders lustig zu finden und rollte sich nun auf dem Bett hin und her. Immerhin brachte er das Kennwort heraus.
    Wenige Minuten später hatte ich das Hamburger Telefonbuch aufgerufen, und da standen sie fett auf dem Monitor, die dreihundertsiebenundfünfzig Hertha Kowalskis. Ich

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