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Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Titel: Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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ließ darauf schließen, dass er sich an die Demütigungen erinnerte. Dunkel wusste ich noch, dass er einmal in der Umkleidekabine der Turnhalle eingesperrt worden war – ohne seine Klamotten. Ein anderes Mal hatte jemand eine Tube mit rosa Farbe in seinem Ranzen ausgedrückt. Und an einem Valentinstag hatte er eine Glückwunschkarte unter seiner Bank gefunden. Unterschrieben von sämtlichen Jungen der Klasse.
    Viel mehr hatte Jan mir nie erzählt, aber ich ahnte, dies war nur die Spitze des Eisbergs.
    Er hatte bis zur zehnten Klasse durchgehalten, dann war er von der Schule abgegangen. Das Protestgeschrei im Hause Lüttjens war vermutlich bis über die Elbe in den neuen Bundesländern zu hören gewesen.
    Meiner Meinung nach hätte er damals einen Orden verdient gehabt, weil er es überhaupt so weit geschafft hatte, aber das kapierte zu Hause natürlich niemand. Außer vielleicht Großtante Marie, die Jan immer in Schutz nahm, wenn ihn väterliche Enttäuschung traf.
    Jan stieß einen langen Ton aus, der bestenfalls als unterdrückter Seufzer durchgehen konnte. Mehr Gefühle gönnte er seinen alten Feinden nicht. Dann fuhr er wieder an, bog kurz darauf in die Barckhausenstraße ein und hielt vor einem dreistöckigen Gebäude aus rotem Klinker.
    »Kommst du mit hoch?«, fragte ich kleinlaut.
    »Klar. Muss nur noch einen Parkplatz suchen. Geh schon mal vor.«
    Hm. Ich hätte lieber auf ihn gewartet.
    Zögernd trat ich auf die Eingangstür aus schwerem Eichenholz zu. Das Auto verschwand währenddessen um die nächste Straßenecke. So lange konnte es ja nicht dauern, in Lüneburg einen Parkplatz zu finden.
    Im Zeitlupentempo sah ich mir die Namensschilder neben den sechs Klingeln an. Dabei war mir ein Schriftzug längst ins Auge gefallen: »Liebling & Meyer – Rechtsanwälte.« Fand ich enttäuschend, den zweiten Namen. Mit der Auswahl seines Partners hätte sich Paul Liebling wirklich mehr Mühe geben können. Liebling & Schatz hätte meiner Meinung nach wesentlich besser geklungen. Oder auch Liebling & Krach, das versprach eine gewinnbringende Scheidung. Aber Liebling & Meyer? Ging gar nicht.
    »Deern, willste hier Wurzeln schlagen oder reingehen?«
    Ein alter Mann, der gerade aus dem Haus trat, hielt mir die Tür auf.
    Mist! Wurzeln schlagen war gar keine so schlechte Idee. Zumindest bis Jan endlich da sein würde. Wo parkte der bloß? In Hamburg?
    Ich bedankte mich artig bei dem alten Mann und betrat den Hausflur, durch den ein Hauch von Zedernduft wehte.
    Was mich nicht unbedingt beruhigte.
    Unglücklicherweise lag die Kanzlei gleich im Parterre rechts. Ich konnte also keine zwei Stunden damit verbringen, langsam die Treppen hinaufzusteigen.
    Die Tür zur Kanzlei war nur angelehnt. Möglicherweise war die Sekretärin noch nicht aus ihrer Mittagspause zurück, oder es gehörte hier zum guten Ton, die Klienten nicht draußen warten zu lassen.
    Ich hätte gern noch ein bisschen gewartet. Auf meiner Stirn sammelte sich der Angstschweiß.
    Mit einem zaghaften »Hallo« stieß ich die Tür auf und geriet in einen ganz in Grün gehaltenen Vorraum. Hellgrüne Tapete, giftgrüne Vorhänge, dunkelgrünes Mobiliar. Vorsichtshalber sah ich mich nach herabhängenden Lianen um, bevor ich eintrat. Der nächste logische Gedanke, dass mir nämlich Paul Liebling gleich im Lendenschurz begegnen würde, bescherte mir Hitzewellen auf der Haut.
    Der Platz am Empfang war tatsächlich leer, aber aus einem Büro drangen laute Stimmen. Ausgesprochen laute Stimmen, um genau zu sein. Die eine gehörte Paul Liebling, die andere einem zornigen Mann. Meyer, schätzte ich. Hörte sich irgendwie nach einem Meyer an. So zornig und gleichzeitig kalt.
    Am liebsten hätte ich mich wieder hinausgeschlichen. Andererseits hatte offenbar eine höhere Macht beschlossen, dass ich meinen Retter mit den kuscheligen Augen zum zweiten Mal an diesem Tag belauschen musste. Und höheren Mächten soll man sich nicht widersetzen. Die hatten sowieso das letzte Wort. Hat man ja gerade erst bei Opa Hermann gesehen. Der wollte mich in München besuchen, und dann hatte die höchste aller Mächte was dagegen.
    Ich blieb also, wo ich war, und spitzte die Ohren.
    »Ausgeschlossen«, sagte Meyer gerade. »Ich habe gleich einen Termin bei Gericht, und du musst die neue Klientin übernehmen. Miriam Wehner ist die Gattin des Schuhfabrikanten Wehner, kapiert? Wenn die sich scheiden lässt, machen wir richtig Profit.«
    Oller Raffzahn, dachte ich.
    Paul erriet meine Gedanken.

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