Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Wieso fragst du ausgerechnet mich, wo Mama ist? Ich war ewig nicht mehr hier. Woher soll ich denn wissen, wo sie hingefahren ist?«
»Ach, Spatz, ich meine ja nur«, brummte Papa und wirkte in diesem Moment nicht besonders stark. Eher in sich zusammengesunken, wie er da so an der Stalltür lehnte. Mit einer schaufelgroßen Hand wischte er sich über die Stirn. »Ihr habt euch immer prima verstanden. Ich dachte, dich zieht Heidi vielleicht ins Vertrauen.«
Mama und ich? Gut verstanden? Hallo? Auf welchem Planeten war ich gelandet?
Ich erinnerte mich lebhaft an Zoff ohne Ende, an zugeknallte Türen und an – hm, ja, auch an lustige Shoppingtouren, als ich älter geworden war, an Ausflüge nach Lüneburg, wo wir uns am Stintmarkt ( dem Kneipenviertel an der Ilmenau) weglachten, wenn ein Verehrer behauptete, wir könnten nie und nimmer Mutter und Tochter sein. Musste ein Verehrer von Mama gewesen sein, den sie selbstverständlich auf Abstand hielt.
Oder nicht?
Zum ersten Mal fragte ich mich, ob Heidi Lüttjens ihrem Mann eigentlich immer treu gewesen war. An die fünfunddreißig Jahre Ehe waren eine verdammt lange Zeit, und in ihrer Jugend war schließlich die freie Liebe propagiert worden.
Und Papa? Ich schaute ihn mir genauer an. Ein Mann in den besten Jahren, ein bisschen rustikal vielleicht, aber für eine Großstadtlady, die in der Heide ihre Ferien verbrachte, bestimmt mit gewissen Reizen ausgestattet. Bevor ich diese verwirrenden Gedanken vertiefen konnte, lehnte sich Jan aus dem Fenster meines Zimmers. »Da bist du ja endlich!«
»Entschuldige, Papa. Jan und ich haben dringend etwas zu erledigen. Und ich weiß wirklich nicht, wo Mama ist. Ich schwöre.«
»Schon gut.« Er wandte sich ab und kehrte in den Stall zurück, wo ihm die Ponys entgegenwieherten. Seine Schultern hingen tief herab. Er sah gerade nicht aus wie das neue Oberhaupt einer Familie. Eher wie ein Mann, der nicht wirklich dazugehörte.
Was sollte das denn jetzt? Brannte mir die Mittagssonne zu heiß auf den Kopf? Ich war der Außenseiter in dieser Familie! Sonst niemand!
Na gut, Jan auch ein bisschen, und Mama, wenn ich so recht darüber nachdachte. Neuerdings lebte sie offenbar ebenfalls ein wenig am Rande der Lüttjens. Dann wäre da noch Großtante Marie, die neben ihrer Schwester Grete seit Jahrzehnten das Dasein eines Mauerblümchens führte und … Ach, du Schreck! Bestand etwa die ganze Familie aus komischen Käuzen, die eigentlich gar nicht zusammengehörten?
Bevor ich länger darüber nachdenken und mein Weltbild gänzlich ins Wanken geraten konnte, drehte ich mich um und ging ins Haus.
Wie von selbst wanderte mein Blick dabei kurz nach oben auf das leere Storchennest. Genauso leer wie gestern, logisch. Und ohnehin so schief und löchrig, dass kein Storchenpaar mit einem gewissen Niveau sich hier niederlassen würde.
Mir fielen plötzlich wieder die Namen der beiden Weißstörche ein, die zuletzt bei uns genistet hatten, damals, bevor ich nach München zog: Mireille und Jürgen – kein Witz! Großtante Marie hatte sie so getauft, nach Schlagerstars aus der deutschen Hitparade. Sie liebte diese Musik, und niemand konnte sie von der Taufe abbringen. Auch nicht Jan. »Das klingt, als würde sich der Spatz von Avignon ein Bett im Kornfeld machen«.
Marie hatte sanft gelächelt. »Macht euch nur lustig. Aber die beiden da oben klappern so schön musikalisch. Die bringen uns Glück.«
Wer weiß, dachte ich jetzt. Vielleicht hätten die Störche den Lüttjens ja wirklich Glück gebracht, wenn alles anders gekommen wäre. Wenn ich geblieben wäre, Karl Küpper geheiratet hätte und heute im Mittelpunkt einer Großfamilie stünde.
Shit! Eine Was-wäre-gewesen-wenn?-Frage. Ging gar nicht. Rasch lief ich die Treppe nach oben in mein Zimmer, wo Jan schon ungeduldig auf mich wartete.
»Fährst du mich nachher nach Lüneburg?«, fragte ich meinen Bruder fünf Minuten später. »Ich habe einen Termin bei diesem … ähm … Anwalt.«
Jan, der eben noch ziemlich geschafft ausgesehen hatte, grinste jetzt breit. »Bei deinem Retter mit den kuscheligen Augen? Dem Typen, der dich vielleicht erpressen will und der so ein Geheimnis um Opa Hermann macht? Mit dem du eine Knutschorgie gefeiert hast und der Paul Liebling heißt? Um nichts in der Welt lasse ich mir das entgehen.«
Der Vorname war mir neu, aber ich fand, der machte den Nachnamen auch nicht besser. »Liebling! Ist ja grässlich.«
»Wer so scharf aussieht wie dieser Mann, darf
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