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Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Titel: Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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kannte seine Gene.
    Mein Blackberry klingelte. Ich nahm an, dass es Sissi war, und ging nicht ran.
    Es klingelte wieder.
    Ich reichte es nach vorn zu Jan. Mama hielt ihm das Blackberry ans Ohr.
    »Hallo?«, sagte er. Dann hörte er eine Weile zu. »Verstehe. Ich fürchte nur, meine Schwester ist im Moment … äh … indisponiert.«
    Was?
    Musste jemand anderes sein. Das Hotel? Oder der Headhunter, der mich für das »Al Salam« in Dubai angeworben hatte?
    Dubai.
    Genau dort wollte ich jetzt sein. An einem Ort, der so weit wie möglich von Nordergellersen entfernt war. Ich träumte von Wüste, während rote Backsteinhäuser an mir vorüberflogen.
    »Ein Brief von Opa Hermann?«, fragte Jan. »Verstehe, Doktor Liebling. Da gibt es zwei Möglichkeiten. Der Gedenkgottesdienst ist morgen um elf Uhr, anschließend gibt es den festlichen Leichenschmaus im Heidekrug . Sie sind herzlich dazu eingeladen. Bei der Gelegenheit können Sie Nele den Brief geben. Oder wir kommen kurz bei Ihnen vorbei. Wir sind nämlich zufällig gerade in Lüneburg. Passt es Ihnen in einer knappen Viertelstunde?«
    »Nein!«, schrie ich.
    Paul Liebling gegenübertreten? Jetzt gleich? In meiner Verfassung? Eher ließ ich mich vierteilen.
    Ich verdrängte, wie sehr ich mir vorhin in Hamburg noch gewünscht hatte, er wäre bei mir. Das war gewesen, bevor meine Welt unter Mamas Worten zerbrach.
    Wie Glas.
    Ich würde diesen schrecklichen Tag überleben. Irgendwie. Aber nicht, wenn ich mit ansehen musste, wie sich Pauls Freundlichkeit in Widerwillen verwandelte.
    Du musst es ihm doch nicht erzählen, sagte eine naive Stimme in meinem Innern. Du könntest so tun, als wäre nichts geschehen. Als wärst du immer noch die Nele, die er kennengelernt hat.
    Ja, naiv.
    Paul würde mir ansehen, dass etwas nicht stimmte, und ich würde nicht lügen können.
    Das wär’s dann gewesen. Den würde ich nie wiedersehen. Nicht bei seinem negativen Erfahrungsschatz.
    Auf die Idee, dass ich diesen Mann möglicherweise unterschätzte, kam ich nicht.
    »Wie bitte?«, fragte Jan ins Blackberry. »Nein. Da schreit nur irgendein Verrückter auf der Straße rum.«
    Er fuhr rechts ran, drehte sich zu mir um und musterte mich prüfend.
    »Doktor Liebling, ich glaube, jetzt passt es doch nicht so gut«, fuhr er dann fort. »Morgen? Ja, wunderbar. Sie können den Brief meiner Schwester dann persönlich überreichen. Vielen Dank.«
    Er drückte das Gespräch weg, und Mama reichte mir das Blackberry zurück.
    Ich nahm es mit zitternden Händen.
    »Papa hat ihm deine Handynummer verraten«, erklärte mir Jan. »Da ist noch ein Brief von Opa für dich. Wir waren so schnell aus seinem Büro weg, dass Liebling nicht mehr dazu gekommen ist, ihn dir zu geben. Wahrscheinlich steht nur das drin, was er dir sowieso schon erzählt hat.«
    Ich dachte an meinen Besuch bei Paul. Mir kam es vor, als wären seitdem viele Jahre vergangen.
    »Kann auch sein, dass Opa Hermann reinen Tisch machen wollte«, sagte Mama. »Er ahnte bestimmt, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Und deshalb hat er Nele die ganze Wahrheit geschrieben. Auch über ihre eigene Herkunft.«
    »Oder er hat noch etwas ganz anderes geschrieben«, orakelte Jan düster. »Etwas, das sich keiner von uns vorstellen kann. Ich an Neles Stelle wäre mittlerweile auf alles gefasst.«
    Jetzt drehte er durch, mein Bruder. Was bitte, sollte es denn noch geben? Es reichte ja wohl.
    »Wie auch immer«, sagte Jan zu mir. »Du sollst den Brief natürlich bekommen. Opa Hermann hat Paul Liebling das Versprechen abgenommen, ihn nur dir persönlich zu geben. Er wird morgen zur Beerdigung da sein.«
    Ich nickte stumm.
    Morgen konnte kommen, wer wollte. Auch ein Paul Liebling, der mich niemals lieben würde.
    Morgen würde ich nicht mehr da sein.
    Der Gedanke hatte sich in meinem Kopf geformt, ohne dass ich es richtig mitbekommen hätte.
    Ich würde abreisen.
    Noch heute.
    Weg von den Lüttjens.
    Weit, weit weg.
    Wohin?
    Erst mal zurück nach München. Wieder zu mir kommen. Begreifen, dass ich nicht die Frau war, für die ich mich dreiunddreißig Jahre lang gehalten hatte.
    Nele Lüttjens vom Lüttjenshof in Nordergellersen.
    Der Schmerz grub sich tief in meinen Bauch.
    Mein Leben lang hatte ich mich von meiner Familie distanziert. Erst jetzt, da ich wusste, ich gehörte gar nicht dazu, erst jetzt begriff ich, dass ich ohne sie nichts war.
    Niemand.
    Ein Findelkind.
    »Wir sind da«, sagte Jan.
    Ich hatte nicht bemerkt, wie er wieder angefahren war

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