Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
konnte, als …« Sie brach ab. Wieder flog die Hand zum Mund. Nicht schnell genug. »Der hatte schon geübt«, schloss sie kryptisch.
»Ist dir kalt, Nele?«, fragte Jan.
Ich merkte, dass ich zitterte, und verschränkte die Arme vor der Brust. Schon komisch, dass ich neuerdings so leicht fröstelte. War sonst nicht meine Art.
Dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. »Mama, wovon redest du?«
»Lass es endlich raus, Bodhi.« Carlo-Ashoka stand plötzlich in der Tür. Niemand hatte ihn kommen gehört. Jetzt faltete er die Hände wie zum Gebet. »Du trägst zu schwer daran. Wir wissen nicht, was es ist, das dich so belastet, aber wir wissen, dass du leidest. Seit mehr als dreißig Jahren ist deine Seele gefangen. Mach dich frei. Gib deinem Namen einen Sinn. Erwache.«
»Oh Gott, die Zeugen Jehovas«, murmelte Jan. »Ich muss hier raus.«
Keiner hörte auf ihn.
Mama sah auf, und in ihrem Blick lag plötzlich wilde Entschlossenheit.
»Es geht um dich, Nele.«
Bis hierhin keine Überraschung.
Mein Instinkt hatte mich gewarnt.
»Opa Hermann hat uns gezwungen, Stillschweigen zu bewahren. Er hatte immer Angst vor einem Skandal. Jetzt verstehe ich ihn besser. Vielleicht hat er befürchtet, dass alles herauskommen würde, wenn erst mal der Deckel gehoben wird. Auch die Sache mit Olaf. Aber nun ist er tot, und du sollst es wissen.«
Bitte nicht, flehte ich im Stillen. Ich dachte daran, wie nervös Mama auf der Rückfahrt von Lüneburg und dann auch zu Hause gewesen war. Sie hatte befürchtet, Opa könnte mir irgendetwas Wichtiges verraten haben. Und sie war erleichtert gewesen, als ich Opas letzte Momente beschrieben hatte.
Musste sie diese Angst unbedingt ablegen? Hier und jetzt in dieser Umgebung, die ihr offensichtlich mehr behagte als der Lüttjenshof?
Blöde Aura.
War doch alles in Ordnung, so wie es war.
»Ich liebe dich sehr, Nele, aber du bist nicht meine Tochter.«
Jan schnappte nach Luft, Carlo-Ashoka murmelte etwas, das wie »Halleluja« klang. Dann begriff er wohl, dass dies eine Familienangelegenheit war, und ließ uns allein. Nicht ohne uns vorher mit großer Geste zu segnen.
Ich sagte nichts, rührte mich nicht.
Ich war ein Stein.
»Mama«, sagte Jan. »Bist du high oder was? Das ist doch vollkommener Blödsinn. Papa ist der treueste Mensch, den ich kenne. Nie und nimmer hätte er dich betrogen. Willst du behaupten, er hat es wie Opa Hermann gemacht und mit einer anderen Frau ein Kind gezeugt? Das glaube ich im Traum nicht.«
Ich war hart, unangreifbar. Alles perlte an mir ab wie Regenwasser. Ich stand fest.
»Das sage ich doch gar nicht«, erwiderte Mama. »Es ist so … also … Nele ist auch nicht Papas Tochter.«
Jan lachte. Es klang hysterisch. »Natürlich ist Nele Papas Tochter. Sie ist sein Spatz, und es vergeht kein Tag, an dem er nicht hofft, dass sie heimkehrt und mit ihm zusammen den Lüttjenshof führt.«
Meine äußere Schicht begann zu bröckeln. Ich kämpfte dagegen an. Wollte Stein bleiben.
»Gefühle haben nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun«, sagte Mama leise. »Olaf und ich, wir haben Nele vom ersten Tag an geliebt. Aber sie ist definitiv nicht unser leibliches Kind.«
»Klar.« Jans Stimme überschlug sich. »Wahrscheinlich hat der Klapperstorch sie gebracht.«
Mama nickte. »So ähnlich.«
»Was?«, kreischte Jan.
Ich zerfiel zu Staub.
Mama stöhnte auf. »Vielleicht lasst ihr mich mal in Ruhe erzählen.«
So erfuhren wir, dass Heidi als jung verheiratete Frau Lüttjens fünf Jahre lang vergeblich versucht hatte, schwanger zu werden. Nichts, was sie versuchte, klappte. Sie gab sich selbst die Schuld und verfiel oft in Depressionen. Es war eine schlimme Zeit, zumal ihr Schwiegervater immer wieder von einem Fluch anfing, der angeblich über der Familie Lüttjens lag. Und der habe mit dem Ausbleiben der Störche zu tun.
Eines Tages kam er mit einem großen Korb heim, nagelte ihn auf den Dachfirst und kleidete ihn mit Gräsern und kleinen Zweigen aus.
Heidi zweifelte an seinem Verstand, wagte aber nicht, es laut auszusprechen.
Ein Glück für sie, denn in jenem Frühjahr nistete tatsächlich zum ersten Mal wieder ein Storchenpaar auf dem Dach der Lüttjens. Ein paar Tage später fand Opa Hermann kurz nach Sonnenaufgang ein Findelkind auf der Türschwelle. Warm eingepackt und fröhlich glucksend. Das Baby sah nicht aus wie ein typischer Lüttjens. Es war eher dunkel, fast mediterran.
Das würde sich schon zurechtwachsen, befand Opa Hermann, und brachte das
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