Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
und die Abzweigung zum Bahnhof genommen hatte. Jetzt hielt er auf dem Parkplatz.
»Willst du im Auto bleiben?«, fragte Mama.
Ich nickte.
Kaum waren sie weg, meldete sich mein Blackberry erneut. Ich schwor mir, den Klingelton zu ändern. Nichts sollte mich mehr an den Lüttjenshof erinnern.
»Hat der Zug Verspätung?«, fragte ich. Meine Stimme klang seltsam, als gehörte sie nicht zu mir. Vielleicht war ich ja dabei, mich aufzulösen, und verwandelte mich zurück in das Nichts, aus dem ich kam.
Nele!, rief ich mich selbst zur Ordnung. Jetzt reicht’s!
»Welcher Zug?«, kam die Rückfrage.
Es war auch nicht Sissis Stimme.
Ich erstarrte. Wäre klüger gewesen, nachzuschauen, wer da anrief. Lüneburger Festnetznummer.
Paul Liebling.
»Schön, dass ich doch noch mit Ihnen sprechen kann, Frau Lüttjens.«
»Hm.«
»Pardon. Sind Sie noch dran?«
»Ja«, krächzte ich.
»Die Verbindung scheint schlecht zu sein.«
»Kann sein.«
Falls er sich wunderte, warum ich so kurz angebunden war, so ließ er sich nichts anmerken. »Was den Brief Ihres Großvaters betrifft … Ihr Bruder hat Ihnen davon erzählt?«
»Ja.«
»Gut. Nun, ich habe mir eben überlegt, dass ich die Übergabe gern weniger öffentlich gestalten möchte. Ist es Ihnen recht, wenn wir uns schon eine halbe Stunde vor der Beerdigung treffen?«
Ich schwieg.
Panik machte sich in mir breit, denn erst in dieser Sekunde wurde mir klar, dass ich diesen Mann liebte. Mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele – nur ohne Verstand. In den letzten Tagen hatte ich mir alle Mühe gegeben, diese in meinem Herzen längst feststehende Tatsache zu ignorieren. Hatte mir sogar vorübergehend eingeredet, ich könnte mich zum zweiten Mal in Karl verlieben. Weil er damals gar nicht so gemein gewesen war, wie ich immer gedacht hatte. Weil er in diesen Tagen vorübergehend meine Sinne zum Schwingen gebracht hatte.
Was für ein Irrtum.
Was für ein Chaos.
»Frau Lüttjens, ich höre Sie gar nicht mehr.«
»Um halb elf am Heidekrug«, presste ich hervor.
»Wunderbar, dann bis morgen.« So langsam schien er von mir doch irritiert zu sein und legte auf.
Halb elf am Heidekrug .
Da konnte er lange warten. Bis er alt und grau und hässlich wurde.
Mist!
Paul Liebling mochte vielleicht irgendwann alt und grau werden, aber niemals hässlich. Er würde außerdem irgendwann die Frau treffen, die zu ihm passte. Die ehrlich war, die sich nicht als jemand ganz anderes entpuppte und die nicht zum Kontrollfreak mutierte.
Na gut, Letzteres hätte er von mir auch nicht zu befürchten gehabt.
Trotzdem, Paul Liebling musste mit einer anderen Frau glücklich werden, eine große Familie gründen, alt und grau werden. Nicht mit mir.
Sissi rettete mich vor einem Heulkrampf. Sie riss die Autotür auf, zog mich raus und schlang ihre Arme um mich – grad so, als hätten wir uns Wochen nicht gesehen.
Kam mir auch so vor.
»Jan hat mir alles erzählt. Du Ärmste! Ist ja grauenvoll!«
»Jan konnte seinen Mund nicht halten«, schimpfte Mama. »So etwas sollte in der Familie bleiben.«
»Na und?«, verteidigte sich mein Bruder. »Sissi gehört quasi zur Familie.«
»Genau!« Meine Freundin drückte mich fest. »Wenn du willst, adoptieren dich meine Eltern. Die würden sich freuen.«
Mama stieß einen leisen Schrei aus, Jan drohte Sissi mit dem Zeigefinger. »Das könnte dir so passen. Mir einfach meine Schwester wegnehmen!«
»War nicht böse gemeint.« Sissi lächelte in die Runde. »Gibt’s bald was zu futtern? Ich sterbe vor Hunger. Hatte keine Zeit, was einzupacken, und der Speisewagen war ständig überfüllt.«
So ist sie, meine beste Freundin. Kommt immer gleich zum Wesentlichen.
Es half.
»Lass uns fahren«, sagte ich zu Jan.
Der wechselte einen schnellen Blick mit Mama. Es gibt wieder Hoffnung, sollte das wohl heißen. Die Kröte ist wieder normal.
Wenn er sich da bloß nicht täuschte.
Die Kröte entwickelte gerade Fluchtpläne.
Sissi unterstützte mich unbewusst darin, indem sie ununterbrochen redete. Sie erzählte Anekdoten aus dem Hotel, berichtete von der Scheidung eines befreundeten Paares und gestand, sie sei gestern bei einem Speed-Dating gewesen. »Kannst du echt vergessen. Kaum denkst du, hm, gar nicht so übel der Typ, da klingelt auch schon so ein bescheuertes Glöckchen, und der Nächste sitzt vor dir. War echt nichts für mich. Ich angele mir jetzt lieber einen zünftigen Heidjer. Oder ist das auf einer Beerdigung verboten?«
»Was?«
»Heidjer.
Weitere Kostenlose Bücher