Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
abholen wollten, mussten wir uns spätestens in einer Stunde auf den Weg machen. Ab vier Uhr waren in Hamburg die Straßen verstopft.
Es half mir, über einfache Dinge nachzudenken. Alles andere war im Augenblick zu groß, zu schwer.
Ich ging zum Taxistand auf der anderen Straßenseite und ließ mich zurückfahren.
Als ich die Wohnung wieder betrat, kam Jan erleichtert auf mich zugelaufen.
»Mensch, Nele, ich hab mir solche Sorgen gemacht! Du hast dein Blackberry hier liegen lassen. Ich konnte dich nicht mal erreichen. Ich hatte schon Angst, du könntest dir was antun.«
»Bist du bescheuert?«, fragte ich erschrocken. »So schnell wirst du mich nicht los.«
»Dann ist ja gut.« Er schloss mich fest in seine Arme. »Und nur, dass du es weißt: Es ist mir schietegal, ob du meine leibliche Schwester bist oder nicht. Du bist meine Kröte und wirst es immer bleiben!«
»Und meine Tochter«, fügte Mama hinzu.
Ich heulte los, heulte Rotz und Wasser, klammerte mich an Jan und zitterte am ganzen Körper.
Keine Ahnung, wie lange.
Irgendwann saß ich auf dem Sofa und aß Carlo-Ashokas Marmorkuchen mit Schokoladenglasur, vollkommen frei von Hasch, wie er mir versicherte, weil ich ihn bei jedem Bissen danach fragte.
Alle behandelten mich wie eine seelisch Gestörte.
War ich ja auch.
Einmal fragte Jan Mama, ob sie damals eigentlich bei mir irgendwas gefunden hatten, das auf meine wahre Identität schließen lassen konnte. Einen Zettel vielleicht, oder sogar eine Geburtsurkunde.
Mama schüttelte heftig den Kopf. »Da war nichts. Ich schwöre.«
Rasch nahm ich mir noch ein Stück Kuchen. Es wäre über meine geistigen Kräfte gegangen, jetzt auch noch über meine richtige Mutter und ihre Beweggründe, mich wegzugeben, nachzudenken. Das würde ich vielleicht irgendwann einmal tun, wenn ich den Schock überwunden hatte. Sofern mir das jemals gelingen sollte.
Als Jan erklärte, wir müssten nun fahren, verkündete Mama, sie werde mitkommen.
»Ich kann Nele jetzt nicht allein lassen. Außerdem wird es Zeit, dass wir auch zu Hause endlich alle offen und ehrlich miteinander umgehen.«
Ich hatte erreichen wollen, dass Mama mit uns nach Hause fuhr.
Nur nicht auf diese Art.
»Gebt mir zehn Minuten, Kinder. Ich muss mich schnell umziehen.«
Für ihre Verhältnisse erschien sie kurz darauf in geradezu bürgerlicher Aufmachung. Jeans und ein gestreiftes Männerhemd zu Turnschuhen. Kaum Schminke, keine silbernen Armreifen.
»Ashoka-Schatz, du kannst übers Wochenende mein Cabrio benutzen. Ich fahre mit den Kindern.«
Der strahlte. Wenigstens einen Menschen hatte sie an diesem Tag glücklich gemacht.
Auf der Fahrt nach Lüneburg bekam ich nur am Rande meines Bewusstseins mit, dass Jan die Geschichte von Opas verschwundener Asche erzählte.
Mama stieß einige Ahs und Ohs aus, einmal lachte sie laut heraus. »Das ist meine Nele!«
Ich sagte nichts, machte mich klein auf der Rückbank.
Unsichtbar.
War nicht ganz da.
Dachte an Paul, je näher wir Lüneburg kamen. Dachte, dass er mich niemals würde lieben können. Jetzt erst recht nicht. Jetzt, da ich eine andere war, als ich selbst immer geglaubt hatte.
Ich sah aus dem Fenster.
Hatte mich nie so verloren gefühlt.
21.
Carrara-Marmor für Opa?
Die Türme von Sankt Johannis und Sankt Nicolai waren bereits in Sicht, als Jan und Mama bemerkten, dass ich seit der Abfahrt aus Hamburg noch keinen Ton von mir gegeben hatte.
»Geht es dir gut, Süße?«, fragte Mama.
Ich schwieg.
»Hey, Kröte, alles klar?«
Ich schwieg.
»Das ist der Schock«, sagte Jan zu Mama.
Mein Blick wanderte über Gemüsefelder, fand nirgends Halt.
Mama gab nicht so leicht auf. Sie drehte sich zu mir um und sah mir fest in die Augen: »Möchtest du etwas trinken? Wir haben noch Zeit, bis deine Freundin ankommt. Ein Kaffee würde uns allen guttun. Mit einem schönen Stück Kuchen dazu. Oder wir besorgen uns etwas Herzhaftes. Ein Grillhähnchen mit Pommes.«
Schweigen.
»Nele, bitte.«
Ich erwiderte ihren Blick.
Sie zuckte zurück. Keine Ahnung, was sie darin gesehen hatte.
»Das hat sie von Marie«, sagte Jan. »Die kann auch so eisern schweigen.«
Mama stieß einen langen Seufzer aus. »Das war dumm und taktlos.«
Im Rückspiegel erhaschte ich Jans trauriges Grinsen. »Entschuldige, Kröte. Ich habe auch noch nicht alles auf die Reihe gekriegt. Außerdem kann man sich Eigenschaften ja auch angewöhnen. Man muss sie nicht zwangsläufig in den Genen haben.«
Der hatte leicht reden. Der
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