Immer für dich da (German Edition)
und riefen mich nie wieder an. Jeden Tag musste ich allein zur Schule gehen, allein im Bus und in der Cafeteria sitzen, und jeden Abend weinte ich mich in den Schlaf.«
»Ehrlich?«
Kate nickte. »Ich weiß noch ganz genau, wie weh das tat.«
»Was ist dann passiert?«
»Nun, als ich wirklich ganz unten war – und das meine ich ernst, du hättest mal die Zahnspange und die dicke Brille sehen sollen, die ich tragen musste –«
Marah kicherte.
»Da stand ich eines Tages auf und ging zum Schulbus.«
»Und?«
»An der Haltestelle wartete Tante Tully. Sie war das coolste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Natürlich dachte ich, sie würde mich keines Blickes würdigen. Aber weißt du, was ich dann herausfand?«
»Was denn?«
»Dass sie, tief in ihrem Innern, genauso ängstlich und einsam war wie ich. In diesem Jahr wurden wir Freundinnen. Echte Freundinnen, die sich nicht einfach so, ohne jeden Grund, weh tun und fallen lassen.«
»Wie wird man denn so?«
»Das ist mühsam, Marah. Wenn man jemandem ein echter Freund sein will, dann muss man sich selbst zurückstellen können. Manchmal wirst du enttäuscht werden – Mädchen können manchmal echt gemein sein –, aber das darf dich nicht entmutigen. Wenn deine Gefühle verletzt und in den Staub getreten werden, reißt du dich einfach zusammen, staubst deine Gefühle ab und versuchst es noch mal. Irgendwo in der Klasse ist das Mädchen, das dich als Freundin die gesamte Schulzeit begleiten wird. Du musst sie nur finden.«
Marah runzelte die Stirn und dachte darüber nach.
Die Kellnerin brachte ihr Essen und die Rechnung und verschwand wieder.
Marah nahm ihren Cheeseburger, doch bevor sie davon abbiss, sagte sie: »Emily ist nett.«
Kate hatte gehofft, dass Marah sich daran erinnern würde. Sie und Emily waren in der Grundschule unzertrennlich gewesen, hatten sich dann aber irgendwie aus den Augen verloren. »Ja, das ist sie.«
Da endlich lächelte Marah, und als Kate diese winzige Veränderung sah, wurde ihr warm ums Herz. Den Rest des Essens sprachen sie über Belangloses, meist über Mode, worüber Marah fast alles und Kate fast nichts wusste. Als Kate bezahlt hatte und sie gerade aufbrechen wollten, sagte sie: »Da ist noch eine Sache.« Sie griff in ihre Handtasche und holte ein kleines, schön verpacktes Päckchen hervor. »Ist für dich.«
Marah riss das glänzende Papier auf und entdeckte, dass es ein Taschenbuch war.
»Der Hobbit«, sagte sie und blickte auf.
»In jenem Jahr, als ich gar keine Freunde hatte, war ich nicht ganz allein. Ich hatte meine Bücher, und dieses hier ist der Anfang eines meiner Lieblingsbücher. Ich habe den Herr der Ringe bestimmt schon zehnmal gelesen. Wenn du dich mal wieder einsam und traurig fühlst und weder mir noch Daddy davon erzählen möchtest, dann kannst du dieses Buch nehmen und dich von ihm in eine andere Welt entführen lassen. Das klingt vielleicht albern, aber als ich in deinem Alter war, hat es mir wirklich geholfen.«
Marah wirkte zwar leicht verwirrt, bedankte sich aber.
Kate sah ihre Tochter noch einen Moment an und spürte einen Stich in der Brust. Alles ging so schnell, bald würde ihr kleines Mädchen erwachsen sein.
»Ich hab dich lieb, Mommy«, sagte Marah.
Für die Welt mochte dies ein ganz gewöhnlicher Augenblick an einem ganz gewöhnlichen Tag sein, doch für Kate war er ganz und gar außergewöhnlich. Aus genau diesem Grund hatte sie ihre Karriere aufgegeben und war zu Hause geblieben. Vielleicht lag die Bedeutung ihres gesamten Lebens in diesem winzigen Moment, doch sie hätte um nichts in der Welt tauschen mögen. »Ich hab dich auch lieb. Deshalb schwänzen wir den Rest des Tages und gehen in die Nachmittagsvorstellung von Harry Potter und die Kammer des Schreckens. «
»Du bist die beste Mommy der ganzen Welt.«
Kate lachte. »Ich hoffe nur, du vergisst das nie.«
Kapitel 25
F ür Tully waren Storys die besten Gedächtnisstützen. Im Jahr 2002 hatte sie zwar in Europa, St. Barts und Thailand Urlaub gemacht, war zur Oscarverleihung gegangen, hatte einen Emmy gewonnen und das Titelblatt der People geziert und außerdem ihre Wohnung renoviert, doch im Gegensatz zu ihren Storys blieb ihr nichts von alldem in Erinnerung. Sie hatte über den Beginn der Offensive gegen die Taliban und über die Eskalation der Gewalt in dieser Region berichtet, den Ausbruch des Irakkrieges und über den Prozess, der Milošević wegen Menschenrechtsverletzung gemacht wurde.
Im Frühjahr
Weitere Kostenlose Bücher