Immer für dich da (German Edition)
Bist du unter der Dusche? Ich komme jetzt rein.«
Sie öffnete die Tür.
Das Erste, was sie bemerkte, war Zigarettenrauch und das offene Fenster. Das Bett war leer.
»Cloud?« Sie ging ins Bad, in dem immer noch warmer Wasserdampf waberte. Im Waschbecken lagen ein schmutziger Waschlappen und ein Handtuch.
Tully kam langsam aus dem dunstigen Bad und wandte sich Johnny und der Kamera zu. »Sie ist weg?«
»Vor einer halben Stunde«, sagte er. »Hab versucht, sie aufzuhalten.«
Von der Wucht ihrer Gefühle wurde Tully fast aus der Bahn geworfen. Sie fühlte sich betrogen, wie das zehnjährige Mädchen, das man auf einer Straße in Seattle einfach stehengelassen hatte. Nichtswürdig und unerwünscht.
Johnny kam zu ihr und nahm sie in die Arme. Sie hätte ihn so gerne gefragt, was denn an ihr war, das alle in die Flucht schlug, doch sie brachte kein Wort heraus. Also klammerte sie sich eine Ewigkeit an ihn und ließ sich von ihm trösten. Er strich ihr über den Kopf und murmelte ihr beruhigende Worte ins Ohr, als wäre sie ein kleines Kind.
Irgendwann jedoch kehrte sie in die Gegenwart zurück, löste sich von ihm und zwang sich, in die Kamera zu lächeln. »Tja, das war’s dann wohl. Ende der Dokumentation. Ich bin fertig, Bob.« Sie ging zurück in ihr Zimmer, wo sie Marah unter der Dusche singen hörte. Tränen brannten ihr in den Augen, doch sie verbot sich zu weinen. Ihre Mutter würde ihr nicht noch mal das Herz brechen. Es war dumm von ihr gewesen anzunehmen, diesmal würde es anders werden.
Dann bemerkte sie, dass das Nachttischchen leergeräumt war. »Das Miststück hat auch noch meinen Schmuck gestohlen.«
Sie schloss die Augen und setzte sich auf den Bettrand. Dann zog sie ihr Handy aus der Tasche und rief Kate an. Als sich ihre Freundin meldete, ersparte sich Tully alle einleitenden Floskeln. »Irgendwas stimmt nicht mit mir, Katie«, sagte sie nur leise und mit zitternder Stimme.
»Hat sie sich schon wieder aus dem Staub gemacht?«
»Wie ein Dieb in der Nacht.«
»Tallulah Rose Hart, hör mir jetzt mal genau zu. Du wirst das Handy weglegen und sofort zur Fähre gehen. Ich kümmere mich um dich, klar? Und bring meine Familie mit.«
»Du brauchst nicht so zu schreien. Ich komme ja. Wir alle kommen. Stell schon mal den Alkohol bereit. Aber ich mixe ihn auf keinen Fall mit dem ekelhaften Saft für deine Kinder.«
Kate lachte. »Es ist frühmorgens, Tully. Ich mache dir Frühstück.«
»Danke, Kate«, sagte Tully leise. »Ich schulde dir was.«
Als sie aufblickte, entdeckte sie, dass Fat Bob all das von der Tür aus mitgefilmt hatte. Johnny stand neben ihm. Nicht das blinkende rote Lämpchen der Kamera und das Bewusstsein ihrer öffentlichen Demütigung gaben ihr den Rest.
Was sie schließlich doch zum Weinen brachte, waren Johnny und sein trauriger, wissender Blick.
Kapitel 27
Z wei Wochen später wurde die Dokumentation gesendet, und selbst Kate, die sich an Tullys außerordentliche Erfolge gewöhnt hatte, war von den Zuschauerreaktionen überrascht. In den Medien löste sie eine Sensation aus. Jahrelang war Tully nur als geistreiche und professionelle Journalistin erschienen, die ihre Storys mit der berufsbedingten Distanz präsentierte.
Doch jetzt erfuhr alle Welt, dass sie enttäuscht und verlassen worden war. Sie sahen die Frau hinter der Journalistin, und das wurde allerorten lebhaft diskutiert. Die Worte, die man am häufigsten hörte, waren: genau wie ich.
Vor der Sendung hatte die Öffentlichkeit Tully Hart respektiert, aber nachher liebte sie sie. In ein und derselben Woche landete Tully auf den Titelblättern von People und Us. Die Dokumentation und Ausschnitte daraus wurden endlos in anderen Sendungen und Talkshows gezeigt. Es schien, als könne Amerika gar nicht genug von Tully Hart bekommen.
Doch während alle nur Augen für Tully und die traurige Begegnung mit ihrer treulosen Mutter hatten, sah Kate etwas ganz anderes in dem Film und war davon ebenso besessen.
Ihr war aufgefallen, wie Johnny Tully am Ende der Dokumentation angesehen hatte, als er ihr von Clouds Verschwinden erzählte. Wie er zu ihr gegangen war und sie in den Arm genommen hatte.
Und dann war da noch das Zwiegespräch der beiden draußen auf der Sunshine Farm. Man hatte ihre Worte herausgeschnitten und mit einem einführenden Text zur Kommune unterlegt, doch Kate fragte sich immer wieder, was die beiden zueinander gesagt hatten.
Wie ein Primatenforscher studierte sie ihre Körperhaltung, doch am Ende
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