Immer für dich da (German Edition)
aufgab.
Jetzt, endlich, war der Augenblick der Wahrheit gekommen und sie hatte Angst. Was, wenn Johnny recht hatte und ihre geniale Idee zu einem erbärmlichen Melodrama führte?
Als es an ihrer Bürotür klopfte, sagte sie: »Herein.«
Ihre Assistentin Helen, die gerade ihren Abschluss in Stanford gemacht hatte, teilte ihr mit: »Dr. Tillman ist bereits im Green Room. Ich habe die McAdams in die Kantine verfrachtet, und Christy ist in Teds Büro.«
»Danke, Helen«, antwortete sie abwesend, doch da schloss sich die Tür bereits wieder.
Sie hatte fast schon vergessen, wie sich Lampenfieber anfühlte. In den vergangenen Jahren war sie dagegen gefeit gewesen. Doch jetzt fühlte es sich an, als würde sie ganz neu anfangen und etwas wagen, an das nur sie allein glaubte.
Sie überprüfte ihr Erscheinungsbild ein letztes Mal im Spiegel, entfernte den weißen Kragenschützer von ihrer Bluse und eilte dann zum Studio. Dort war Johnny bereits damit beschäftigt, zehn Dinge gleichzeitig zu tun und seine Befehle zu bellen.
»Bist du bereit?«, fragte er.
»Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht.«
Er kam auf sie zu und sprach in sein Headset. Dann entfernte er das Mikrophon von seinem Mund und sagte leise zu ihr: »Du wirst großartig sein, das weißt du doch. Ich vertraue dir.«
»Danke. Mehr wollte ich nicht hören.«
»Sei einfach du selbst. Alle lieben dich.«
Wie aufs Stichwort kam das Publikum ins Studio geströmt. Tully ging hinter die Bühne und wartete auf ihr Zeichen. Als die roten Lämpchen blinkten, betrat sie die Bühne.
Wie immer stand sie einen Moment lang einfach nur lächelnd da und ließ den Applaus auf sich einwirken.
»Heute haben wir eine ganz besondere Sendung für Sie. Mein Gast, Dr. Wesley Tillman, ist ein bekannter Psychiater, der sich auf Suchterkrankungen und Familienberatung spezialisiert hat …«
Auf dem riesigen Bildschirm hinter ihr wurde ein Film eingespielt, in dem ein übergewichtiger Mann mit beginnender Glatze mit den Tränen kämpfte. »Meine Frau ist ein guter Mensch, Tallulah. Wir sind seit zwanzig Jahren verheiratet und haben zwei wunderbare Kinder. Das Problem ist …«, er stockte kurz und wischte sich über die Augen, »… der Alkohol. Früher war es nur ein Cocktail bei Freunden, aber in letzter Zeit …«
Dann zeigte der Film, wie durch den Alkohol eine ganze Familie auseinanderbrach.
Als er zu Ende war, wandte Tully sich wieder an ihr Publikum. Sie bemerkte, wie betroffen es war. Ein paar Frauen sahen aus, als wollten sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Mr McAdams geht es wie vielen von uns. Er lebt in stiller Verzweiflung, weil ein geliebter Angehöriger süchtig ist. Er schwört, er habe alles versucht, seine Frau dazu zu bewegen, eine Entziehungskur zu machen und mit dem Trinken aufzuhören. Aber heute werden wir mit Dr. Tillmans Hilfe etwas Neues und ziemlich Radikales ausprobieren. Mrs McAdams ist im Augenblick allein hinter der Bühne. Sie glaubt, sie habe eine Reise auf die Bahamas gewonnen und würde den Preis gleich entgegennehmen. Doch in Wahrheit wird ihre Familie – mit Dr. Tillmans professioneller Hilfe – sie mit ihrer Alkoholsucht konfrontieren. Wir hoffen, sie damit zu zwingen, sich den Tatsachen zu stellen und Hilfe zu suchen.«
Einen Moment lang herrschte völlige Stille.
Tully hielt den Atem an. Macht mit, bitte macht mit.
Dann brach Applaus los.
Tully musste sich zusammenreißen, um nicht befreit zu lachen. Sie warf einen Blick zu Johnny, der hinter Kamera eins stand und grinsend seinen Daumen hochreckte.
Das würde ihr helfen, sie erfüllen. Sie würde dieser Familie wirklich helfen, und Amerika würde sie dafür lieben.
Sie stellte ihre Gäste vor, und von da an lief alles wie am Schnürchen. Alle im Studio machten mit und genossen die Show. Sie klatschten, sie stöhnten, sie lachten, sie weinten genau an den richtigen Stellen. Und Tully lenkte alles wie eine geschickte Dompteuse. Sie war in ihrem Element, wie immer vor laufender Kamera.
Kapitel 31
T ully machte sich Sorgen um Kate und Marah. Fast die ganze letzte Woche hatte sie bereits darüber nachgedacht, wie man ihre Beziehung verbessern könnte, hatte jedoch keine Lösung gefunden. Jetzt saß sie am Schreibtisch und ging ihr Skript für die heutige Sendung durch.
Das Telefon klingelte. Es war ihre Assistentin. »Tully. Die McAdams aus der Alkoholsuchtsendung sind hier.«
»Schick sie rein.«
Das Paar, das an diesem eiskalten Novembermorgen hereinkam, hatte nur
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