Immer für dich da (German Edition)
stolpern.«
»Du hast ja keine Ahnung, wie es ist, sich wegen seiner Mutter zu schämen.«
»Von wegen! Du hättest mal sehen sollen, was meine Mom neulich anhatte –«
»Nein. Du hast keine Ahnung.«
»Dann erzähl mir, wie es ist.«
Tully wusste, was Kate von ihr hören wollte; sie wollte wissen, was sie zum Lügen veranlasst hatte, aber Tully wusste nicht, wie sie es anstellen sollte, all ihren Schmerz in Worte zu fassen und einfach so offenzulegen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie ihre Geheimnisse für sich behalten. Es wäre unerträglich, Kate alles zu erzählen und sie dann als Freundin zu verlieren.
Andererseits würde sie sie ganz sicher verlieren, wenn sie jetzt nicht die Wahrheit erzählte.
»Ich war zwei«, begann sie schließlich, »als meine Mom mich zum ersten Mal bei meinen Großeltern zurückließ. Sie ging nur zum Milchholen und kam erst zurück, als ich vier war. Als ich zehn war, tauchte sie erneut auf, und ich dachte, das sei ein Zeichen dafür, dass sie mich liebte. Aber noch am selben Tag verlor sie mich in einer Menschenmenge. Als ich sie das nächste Mal sah, war ich vierzehn. Meine Grandma lässt uns jetzt in diesem Haus wohnen und schickt uns jede Woche Geld. Zumindest so lange, bis meine Mom das nächste Mal abhaut – was mit Sicherheit passieren wird.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Natürlich nicht. Meine Mom ist auch nicht wie deine. Ich war noch nie so lange mit ihr zusammen wie jetzt. Aber früher oder später wird sie sich langweilen und ohne mich weiterziehen.«
»Wie kann eine Mutter denn dazu fähig sein!«
»Vielleicht stimmt ja was nicht mit mir.«
»Mit dir stimmt alles. Aber bei ihr läuft einiges schief. Nur verstehe ich immer noch nicht, warum du mich angelogen hast.«
Da sah Tully sie endlich an. »Ich wollte, dass du mich magst.«
»Du hattest Angst, ich würde dich nicht mögen?« Kate fing an zu lachen. Gerade wollte Tully sie fragen, was daran so komisch sei, da beruhigte sie sich wieder und sagte: »Okay, also keine Lügen mehr, abgemacht?«
»Versprochen.«
»Wir sind für immer beste Freundinnen. Einverstanden?«
»Du meinst, du wirst immer für mich da sein?«
»Immer«, bestätigte Kate. »Was auch kommen mag.«
Da spürte Tully, wie etwas in ihr erblühte wie eine exotische Blume. Sie meinte sogar, ihren süßen Duft in der Luft zu riechen. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich bei jemandem vollkommen sicher. »Für immer«, bekräftigte sie. »Was auch kommen mag.«
Diesen Sommer nach der achten Klasse sollte Kate für immer als eine der schönsten Zeiten ihres Lebens in Erinnerung behalten. Jeden Wochentag verrichtete sie klaglos ihre Pflichten und passte auf ihren Bruder auf, bis ihre Mutter um drei Uhr vom Einkaufen oder ihrer ehrenamtlichen Arbeit heimkam. Danach hatte Kate frei, genau wie den größten Teil der Wochenenden. Sie und Tully erkundeten mit den Rädern das ganze Tal und verbrachten Stunden im Schlauchboot auf dem Pilchuck River. Am späten Nachmittag breiteten sie ihre Handtücher aus, sonnten sich in ihren neonfarbenen Häkelbikinis und hörten sich dabei die Charts in dem Transistorradio an, das sie stets dabeihatten. Sie sprachen über alles: Mode, Musik, Jungs, ihre Zukunft als Reporterduo, Filme. Alles war erlaubt; keine Frage durfte abgewehrt werden.
Jetzt war es Ende August, und sie standen in Kates Zimmer und packten ihre Schminksachen für ihren Ausflug zur Kirmes. Wie üblich konnte Kate sich erst umziehen und schminken, nachdem sie das Haus verlassen hatte. Zumindest, wenn sie cool aussehen wollte. Ihre Mom hielt sie immer noch ständig für zu jung. »Hast du dein schulterfreies Oberteil?«, fragte Tully.
»Hab ich.«
Grinsend wegen ihres genialen Plans gingen sie hinunter, wo der Vater fernsah.
»Wir gehen jetzt zur Kirmes«, verkündete Kate und war froh, dass ihre Mutter nicht da war. Die hätte nämlich bemerkt, dass ihre Tasche verdächtig groß war. Wahrscheinlich hätte sie mit ihrem Röntgenblick durch den Stoff direkt die Kleider, Schuhe und Schminke gesehen.
»Passt auf euch auf«, erwiderte er, ohne aufzublicken.
»Wir werden supervorsichtig sein«, versprach Tully lächelnd. Sie liebte es, wenn Kates Eltern sich um sie beide Sorgen machten.
Kate gab ihrem Dad einen Abschiedskuss. Er legte den Arm um sie und steckte ihr zehn Dollar zu. »Viel Spaß.«
»Danke, Daddy.«
Dann gingen Kate und Tully mit schwingenden Taschen die Einfahrt hinunter.
»Meinst du, Kenny Markson ist auch auf
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