Immer für dich da (German Edition)
kannte mehr als nur seinen Namen. Sie kannte seine gesamte Lebensgeschichte.
Angeblich war er schon als Medienwunderkind aus dem College gekommen. Er hatte rasch Karriere gemacht und war noch vor seinem dreißigsten Lebensjahr Anchorman bei einer Nachrichtensendung geworden. Und dann, ganz plötzlich, war es bergab gegangen. Ein paar Anzeigen wegen Trunkenheit am Steuer, ein Autounfall, bei dem er ein Kind verletzte und sich beide Beine brach. Sein Stern sank. Danach hörte man ein paar Jahre nichts mehr von ihm, und schließlich tauchte er als Dozent an der Uni von Washington wieder auf.
Wiley stand auf. Er wirkte leicht ungepflegt, seine Haare waren zu lang und grauschwarze Bartstoppeln zierten sein Gesicht, doch die Intelligenz in seinen dunklen Augen war unvermindert. Immer noch umgab ihn eine Aura der Größe. Kein Wunder, dass er solchen Erfolg gehabt hatte.
Er gab ihr einen Lehrplan und wollte schon weitergehen, da lächelte sie ihn strahlend an und sagte: »Ihre Berichterstattung über den Karen-Silkwood-Fall war sehr scharfsinnig.«
Er hielt inne und sah sie an. In seinem Blick lag etwas Beunruhigendes – eine gewisse Intensität, aber nur eine Sekunde, wie ein Laser, der an- und wieder ausgestellt wurde –, dann ging er weiter und wandte sich dem nächsten Studenten zu.
Offenbar hielt er sie nur für eine aus der Strebertruppe, die stets die erste Reihe besetzten, um sich besser beim Dozenten einschleimen zu können.
In Zukunft musste sie vorsichtiger sein. In nächster Zeit war nichts wichtiger, als Chad Wiley zu beeindrucken. Sie beabsichtigte, so viel wie möglich von ihm zu lernen.
TEIL 2
Die Achtziger
Love is a Battlefield
Heartache to heartache we stand
Kapitel 9
A m Ende ihres zweiten Jahres hatte Tully keinerlei Zweifel mehr, dass Chad Wiley wusste, wer sie war. Sie hatte zwei seiner Seminare besucht: Fernsehjournalismus I und II. Sie hatte all seine Worte wie ein Schwamm aufgesaugt und alles getan, was er verlangte. Immer und überall.
Nur wollte er offenbar nicht anerkennen, dass sie Talent hatte. Die gesamte letzte Woche hatten sie damit verbracht, Nachrichten von einem Teleprompter zu lesen. Jedes Mal, wenn sie fertig gewesen war, hatte sie zu ihm geblickt, doch er hatte kaum von seinen Notizen aufgeschaut, sondern nur seine Beurteilung runtergerasselt, als hätte er es mit einem lästigen Zeitgenossen zu tun, und dann den Nächsten aufgerufen.
Tag für Tag, Woche für Woche, Seminar für Seminar hatte Tully darauf gewartet, dass er erkannte, wie talentiert sie war, dass er sagte: »Du bist bereit für KVTS.« Jetzt war es bereits Anfang Mai. In sechs Wochen würde ihr zweites Jahr zu Ende sein, und immer noch hatte sich nichts getan.
Dabei hatte sich ansonsten einiges in ihrem Leben geändert. Sie trug ihre Haare jetzt schulterlang mit Pony. Ihre Stil-Ikone war nicht mehr Farah Fawcett, sondern Jessica Savitch. Das Jahr 1980 brachte für Tully voluminöse Frisuren, auffallendes Make-up, Glitzerstoffe und Schulterpolster. Sollten andere in den gedämpften Farben ihrer Verbindung herumlaufen. Wenn sie auftrat, dann fiel sie auch auf.
Außer natürlich Chad Wiley.
Aber auch das würde sich ändern, da war sich Tully ganz sicher. In der Woche zuvor hatte sie genug gelernt, um sich für ein Ferienpraktikum bei KVTS zu bewerben, dem Lokalsender, der auf dem Campus angesiedelt war. Sie war dafür bereits um sechs Uhr morgens aufgestanden, um als Erste ihren Namen auf die Liste zu setzen. Als sie den Probetext hatte, war sie heimgegangen und hatte endlos geprobt, ihn mindestens auf zwölf verschiedene Arten gelesen, bis sie sicher war, dass ihr Tonfall genau zur Story passte. Gestern hatte sie das Vorsprechen mit Bravour gemeistert. Da war sie ganz sicher. Und jetzt wollte sie nachsehen, welche Position sie sich erkämpft hatte.
»Wie sehe ich aus?«
Kate blickte noch nicht mal von ihren Dornenvögeln auf. »Umwerfend.«
Tully spürte einen Anflug von Ärger, was in letzter Zeit immer häufiger vorkam. Manchmal reichte es schon, Kate auch nur anzusehen, dass ihr das Blut kochte. Dann musste sie all ihre Selbstbeherrschung aufbringen, um sie nicht anzuschreien.
»Du hast ja noch nicht mal hingesehen!«
»Muss ich auch nicht.«
»Weißt du eigentlich, wie wichtig das für mich ist?«
Jetzt endlich blickte Kate auf. »Du probst seit zwei Wochen an dieser einen Story. Selbst mitten in der Nacht habe ich dich üben hören. Glaub mir, ich weiß, wie wichtig dir
Weitere Kostenlose Bücher