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Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Alef
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sparsam, wird die Zahl derer, die es sich leisten können, zu klein. Es ist, wie so oft im Leben, ein Verteilungsproblem.
    Ich bin einer, der für andere ihr Verteilungsproblem löst. Ich bringe einer Frau, die seit siebenundfünfzig Jahren in derselben Wohnung wohnt, bei, dass sie unappetitlich geworden ist. Dass sie verschwinden muss, damit es Filet gibt. Ihr seid der Sud, der Fonds, die Brühe, sage ich den Leuten. Es wird Zeit für euch zu gehen. Der Tisch ist gedeckt, aber nicht für euch.
    Herz, Galle, Darm. Man sollte Innereien nicht mit Innerlichkeit verwechseln, aber man muss seinem Herzen vertrauen im Immobiliengeschäft. Wer ein Haus kauft, wird dort den Rest seines Lebens zubringen, wenn er sich nicht scheiden lässt. Eine Lebensanschaffung, eine Investition. Neulich habe ich ein Graffito gesehen:
The city is no longer. We can leave the theatre now
. So ein Blödsinn, sage ich da. Und ob es die Stadt noch gibt. Und wir richten sie her, machen sie schick und fein. Also nicht irgendwo kaufen, sondern am besten im Herzen der Stadt.
    Im Herzen Charlottenburgs, im Herzen von hier und im Herzen von da. Aber wo ist denn bitteschön die Gallenblase der Stadt? Die Niere? Der After? Die Leber? Gut, die Leber ist in Neukölln. In Neukölln bekommen die kleinen Kinder keine Milchzähne, sondern Bierzähne. Und mit Kümmerling, Kleiner Feigling und Berentzen geht es durchs Leben, bis das Sprachzentrum futsch ist. Futschi.
    Sammeln Sie Treueherzen?
Treueherzen sammeln im Herzen von Charlottenburg. Im Herzen von Marzahn. So viele Herzen, so viel Herzlosigkeit. Wenn man einem Fisch das Herz rausreißen muss, damit man ihn zum Filet machen kann, gilt das dann auch für eine Stadt? Müssen wir die Stadt schlachten, damit es Filetgrundstücke gibt? Vielleicht stimmt das Graffito ja doch.
    Ich bin verwirrt, aber das mag auch an meiner unvorteilhaften Situation liegen, ganz allein, und nur eine dünne Wand verzinktes Blech zwischen mir und denen, die nach mir suchen.
    Die Stadt ist eine Waffenstillstandszone. Zum Beispiel, wenn man zum Geldautomaten geht. Da lagern Obdachlose auf dem Boden mit ihren fettigen Haaren, ihren schwarzen Fingernägeln, ihren dreckigen Händen und ihrem salzverkrusteten Genitalbereich. Der Schmutz bringt die Papillarlinien zum Vorschein wie die Marmorierung in Tee-Eiern. Alles an den Obdachlosen ist sichtbar und riechbar. Und man kann wegsehen, aber nicht wegriechen. Die Obdachlosen wollen in die Wärme des Alkovens, in die kleine Nische in der Fassade, in die Einbuchtung, in der der Geldautomat steht. Hinter die Tür, die die kleine Nische von der Kälte einer Winternacht lebenssichernd schützt. Sie schlagen niemanden tot und sie nehmen auch kein Geld. Man hält die Luft an und steigt über die leeren Bierflaschen und über ihre Füße, die in aufgeplatzten zu engen Schuhen stecken, aus denen Socken hervorquellen. Und holt sein Geld und ist froh, wenn man wieder draußen ist und dass man die Obdachlosen nicht in ein Lager schaffen muss oder raus aus der Stadt irgendwohin. Wie schnell kann sich das ändern. Und natürlich kann man auch in einer Waffenstillstandszone blendend über die Runden kommen, wenn man nicht gerade auf eine Mine tritt.

35
    Kurt Speckler rieb sich die Augenklappe. Darunter juckte das Auge, weil es tränte. Jeden Morgen träufelte er zwanzig Tropfen hinein, in der Mittagspause legte er sich auf die Liege im Ruheraum für die Pförtner und wiederholte die Prozedur, abends vor dem Schlafen gab es eine dritte Portion. Er war nicht völlig blind auf dem rechten Auge, aber wenn er die Klappe herunternahm, sah er doppelt und ihm wurde schwindlig. Im Moment war er allein in der Pförtnerloge des Polizeipräsidiums. Der Kollege war mal kurz pinkeln, und Speckler grüßte die Beamten, die ein und aus spazierten wie in einem Taubenschlag. Wenn ein Besucher kam, drückte er den Knopf für die Wechselsprechanlage und fragte:
Kann ich helfen?
Egal, wie freundlich er sich gab, die Sprechanlage ließ ihn immer wie den Verwalter einer Strafkolonie klingen:
Zimmer 3112, dritte Etage. Zum Aufzug hier rechts um die Ecke, du Wurm
.
    Speckler war lange genug dabei, um zu erkennen, ob jemand auf Krawall gebürstet war. Als er die Frau die Treppe zur Pförtnerloge hocheilen sah, wusste er, dass er sich gleich einiges würde anhören müssen.
    »Ich möchte gerne eine Anzeige erstatten«, sagte sie. Sie war korpulent und schnaufte, wobei es wohl vor allem die Empörung war, die ihr den Atem

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