Immer Schön Gierig Bleiben
raubte.
»Weswegen?«
»Wegen dem hier.« Sie hielt eine Styroporschachtel vor das Fenster.
Speckler wich zurück. Bitte keine Bombe oder abgeschnittenen Gliedmaßen. »Was ist da drin?«, fragte er, und seine Stimme klang nicht besorgt, sondern schnarrte militärisch.
»Roher Fisch in Röllchen, auch Sushi genannt.« Sie klappte den Deckel auf.
»Und der ist vergiftet oder verdorben? Vielleicht sollten Sie damit zum Gesundheitsamt gehen.«
»Der Fisch ist völlig in Ordnung, genau wie die anderen drei Lieferungen, die ich erhalten habe.«
»Sie haben ihn bestellt, und er ist in Ordnung. Wo ist das Problem?«
»Junger Mann, das Problem ist, dass ich dieses Sushi nicht bestellt habe. Ein unbekannter Verehrer stellt es auf meine Türschwelle, während ich früh beim Bäcker bin.«
»Ein Stalker?«, fragte Speckler.
»Ein krankhaft schüchterner Mann, der seine Zuneigung zum Ausdruck bringt, indem er mir rohen Fisch schenkt.«
»Also, wenn Sie mich fragen«, sagte Speckler, »da wäre mir ein Stalker fast lieber.«
»Ich frage Sie aber nicht«, fauchte die Frau. »Von mir aus kann er mir auch Rote Grütze vor die Tür stellen, aber das hier geht zu weit.« Sie deutete mit zitternden Fingern auf das papierene Sonnenschirmchen, das in einer grünlichen Paste steckte. Sah aus wie die Scheiße von Specklers Aquarienfischen, bloß kam die nicht in Häufchen, sondern in Fäden.
Speckler las laut vor:
»Für AK, guten Appetit.«
Er sah die Frau an. »Ja, und?«
Die Frau schnaufte, dann schlug sie sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Ach, wie dumm von mir, ich habe mich ja gar nicht vorgestellt. Hilde Mattuschek mein Name. Na, dämmert’s jetzt bei Ihnen?«
Speckler starrte auf die Styroporpackung.
»Die Initialen sind falsch. HM stand immer auf dem Schirmchen, jetzt steht da AK. Das ist eine unglaubliche Unverschämtheit. Das ist Bigamie, Sushi-Bigamie.«
Speckler nickte langsam. »Eine Frechheit«, sagte er.
»Das ist, als ob Sie mit einer Frau im Bett sind und den Namen einer anderen sagen. Ist Ihnen das schon einmal passiert?«
Speckler schüttelte den Kopf. Er war seit mehr als dreißig Jahren verheiratet. Seine Frau kam aus demselben Dorf im Spreewald wie er. Erster Kuss mit vierzehn, erster Sex mit sechzehn, erstes Kind mit achtzehn, fertig war die Laube. In Specklers Bett gab es nur einen Namen: Roswitha.
»Ist ja auch egal«, sagte Frau Mattuschek. »Ich verlange, dass dieser Perversling zur Strecke gebracht wird.«
»Tja …« Speckler rieb sich das Kinn. »Ich schick Sie mal zur Abteilung von Hauptkommissar Pachulke. Der ist zwar in erster Linie bei der Mordkommission, aber dem schicken wir immer die Anzeigen, die sich vollkommen bekloppt anhören.«
»Ich bin nicht bekloppt«, sagte Hilde Mattuschek.
»Nicht Sie, der Sushi-Bigamist«, sagte Speckler und erklärte Hilde Mattuschek den Weg zur Baracke.
»Gab’s was Besonderes?«, fragte Specklers Kollege, als er wenig später von der Toilette zurückkam.
»Da war eine Frau da, die hat Sushi mitgebracht. Ich hab sie zu Pachulke geschickt.«
»So, so, Sushi essen die da hinten in ihrem Containerpalast«, sagte Specklers Kollege. »Wahrscheinlich auf der Dachterrasse. Vornehm geht die Welt zugrunde.«
Stiesel stieg aus der Dusche und griff sich ein sauberes Handtuch. Er hatte die Nacht über in der Baracke durchgearbeitet, auch wenn das seiner Mutter bei dem gestrigen Telefonat gar nicht gefallen hatte. Jetzt sehnte er sich nach einem Bett. CU-CEI war die Abkürzung für University Center of Exact Sciences and Engineering in Guadalajara, Mexiko. Dort hatte Olivia Gutierrez ihr Ingenieurstudium fortgesetzt, das ihr an der Technischen Universität verwehrt worden war, weil sie nebenbei Leuten die Haare geschnitten hatte. Heute war sie eine leitende Ingenieurin am Chapalasee. Die Laguna de Chapala war einer der größten Süßwasserseen Mexikos und versorgte die 1,5 Millionenstadt Guadalajara mit Wasser. Jetzt, um halb zehn Uhr Stiesels Ortszeit, war es am Chapalasee halb drei Uhr früh. Olivia Gutierrez schlief. Aber in sechs Stunden würde sie aufstehen und nach Guadalajara fahren. In Guadalajara gab es ein deutsches Generalkonsulat mit einer Dolmetscherin. Den Skype-Anschluss hatte Stiesel um drei Uhr morgens seiner Zeit getestet, als die Kollegen in Mexiko eigentlich schon im Feierabend waren. Das alles war nur möglich gewesen, weil ihn eine Mitarbeiterin aus dem Auswärtigen Amt in vielen Dreier-Telefonkonferenzen durch die
Weitere Kostenlose Bücher