Immer Schön Gierig Bleiben
Richtung, bis das Nylon auf Spannung war, ohne hoffnungslos überdehnt zu sein. Mit einer Lupe suchte sie systematisch die ganze Feinstrumpfhose ab, wobei sie mit der dunkelgrünen Spur begann. Mit einer Pinzette sicherte sie ihre Funde. Schließlich lagen in einer Glasschale drei winzige rosa Fitzel, die auf dem weißen Stoff nicht aufgefallen waren.
Plink ging pfeifend zum Bücherregal, in dem sie ihre kleine Handbibliothek aufbewahrte, und überlegte eine Weile. Schließlich griff sie sich ein Buch zur Pflanzenbestimmung nach der Triangel-Methode, setzte sich an den Schreibtisch und las. Die Triangel-Methode ging davon aus, dass sich jede Pflanze durch drei Merkmale eindeutig bestimmen lässt. In der Geometrie wurde eine Ebene durch drei Punkte eindeutig bestimmt. Deshalb konnte ein dreibeiniger Tisch niemals wackeln, und deshalb glaubten die Autoren dieses Buches, dass drei Merkmale einer Pflanze reichten.
Pollen: grün, Geruch: Zitrone, Blütenblätter: rosa. Das waren ihre drei Punkte, mit denen sie die Pflanze festnageln wollte. Plink las, machte sich Notizen, zerriss diverse Zettel. Der Nachteil bei der Arbeit mit einem Buch: Es ging viel langsamer als mit einer Datenbank oder einer Website. Der Vorteil: Man lernte das sorgfältige Arbeiten und wusste in kürzester Zeit viel mehr über Pflanzen als die Nachschauer, die lieber
schnell mal was bei Wikipedia
nachschauten, anstatt ein Buch zum Thema von vorn bis hinten durchzuarbeiten.
Schließlich fand sie den passenden Kandidaten, und siehe da, er war auch noch selten. Einen besseren Marker für den Tatort hätte sich Plink nicht wünschen können.
Wir freuen uns. Wir freuen uns sehr. Wir freuen uns beide sehr, dass du zu uns kommst
.
Victor Sherman hatte den Einstieg für das Gespräch geübt. Mit seiner Frau Britta hatte er im Wohnzimmer gesessen und seinen Bittgang eingeübt. Britta hatte dazu kleine murrende und knurrende Laute von sich gegeben. Sie war völlig unglaubwürdig in der Rolle von Victors Vater, des grimmigen Alten. Nach ein paar Minuten hatte sie schallend gelacht und den Kopf auf den Küchentisch gelegt.
Victor war etwas ratlos dagestanden, schließlich packte er den Zettel mit den Notizen weg und goss sich ein Glas Milch ein. Das beruhigte ihn, und Brittas Optimismus war ansteckend. Es war ihr Vorschlag gewesen, dass Victors Vater zu ihnen ziehen sollte. Victor wäre das im Traum nicht eingefallen, auch wenn er sah, dass es nicht gut um seinen Vater stand.
Der alte Mann war jetzt zweiundachtzig, gut zu Fuß und geistig rege, aber im Lauf der Jahrzehnte war er in seiner Wohnung zwischen den Dingen abgesoffen. Vincent Sherman redete zwar unablässig davon, dass er kurz davor war, ein bahnbrechendes, nie da gewesenes Ordnungssystem zu etablieren, mit dem er alles in den Griff kriegen würde. Alles – das waren die Radkappen von alten Automodellen, die nur Insider kannten, die Fotos aus einem erfüllten Leben inklusive dreier Ehefrauen, die Vincent alle überlebt hatte, die unausgepackten bügelfreien Hemden, die Overalls, aus denen sich das Öl längst nicht mehr auswaschen ließ, das Werkzeug, die Steuerunterlagen und alle anderen Hinterlassenschaften seiner Firma seit den sechziger Jahren. Dazu ein Zimmer voll mit alten Zeitungen, die sich bis unter die Decke stapelten und von denen sich der alte Mann nicht trennen konnte.
»Du machst mich zum Krüppel, wenn du mir das wegnimmst«, sagte Vincent zu Victor, als dieser vorschlug, die meisten Sachen wegzuschmeißen. »Andere haben einen Krieg, der sie zum Krüppel macht, ich habe einen Sohn, der das für mich besorgt.«
Britta gegenüber nahm sich Victors Vater nicht so viel raus. Aber Victor befürchtete, dass er diese Hemmungen bald aufgeben würde, wenn er Britta als Teil seines Haushalts betrachten konnte.
Und wieso überhaupt Bittgang? Er war dabei, seinem Vater das Leben zu retten, den Rest seines Lebens, der ihm noch blieb. Dafür erwartete er keine Dankbarkeit, aber er wollte auch nicht als Scherge beschimpft werden. Victor hatte nicht einmal einen Schlüssel für das Häuschen seines Vaters, der in einer kleinen Straße in Rudow, in der Nähe des abgerissenen Flughafens wohnte. Victor klingelte an der Tür.
Vincent Sherman öffnete. Er war groß und weißhaarig und trug einen dunkelbraunen Cordanzug und farblich passende Halbschuhe, als wollte er jeden Moment das Haus verlassen.
»Hallo, Vater«, sagte Victor.
»Hallo, Victor«, sagte Vincent Sherman. »Bist du wieder
Weitere Kostenlose Bücher