Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Alef
Vom Netzwerk:
unaufmerksam, ich habe einen Fehler gemacht. Bitte geben Sie mir die Chance, meinen Fehler wieder gutzumachen.«
    Hinter Pachulke wurden Rufe laut. »Bitte, ja bitte. Der Mann hat eine zweite Chance verdient. Nicht wegen einer Heftklammer, bitte, Müllhostess, bitte.«
    »Na ja, wir wollen ja mal nicht so sein.« Die Müllhostess deutete auf einen Tisch, auf dem eine Plastikwanne mit alten Teebeuteln stand. Daneben lag ein Entklammerer, der aussah wie der in Pachulkes Schreibtisch, nur etwas kleiner.
    »Entklammern und trennen Sie zwanzig von den Dingern, und die Angelegenheit ist für mich erledigt.« Sie warf Pachulkes Tüten in die dafür vorgesehenen Container. »Der Nächste.«

25
    Die Ringbahn fuhr im Schritttempo über die Elsenbrücke. Zabriskie saß am Fenster. Zwischen den Graffiti und den Kratzern blickte sie flussaufwärts auf die Spree. Links lag im wolkenverhangenen Mittagslicht die Stralauer Halbinsel, wo Verena Adomeit ermordet worden war. Am anderen Ufer wohnte der Mann, den sie suchte. Zumindest hatte sein letztes Lebenszeichen auf die Treptower Halde verwiesen. Schlosshalde Charlottenburg, Görlitzer Halde Kreuzberg, Rehhalde Wedding – die wilden Müllkippen wuchsen und wucherten stetig weiter. Und von Anfang an waren sie auch bewohnt gewesen.
    Der Kommunalverwaltung war das recht. Sie hatte den Kampf gegen die illegalen Mülldeponien schon lange aufgegeben. Früher hatte die Wasserschutzpolizei das Spreeufer noch gesichert, aber es waren zu viele Schmuggler, die rund um die Uhr in das Stadtgebiet einsickerten. Ob mit Ruderboot oder Lastkahn, ob mit dem Auto oder zu Fuß mit Rentnerchoppern, pausenlos schleppten die Menschen aus Brandenburg ihren Müll in die Stadt. Zur Treptower Halde kamen sie mit Booten und Schiffen aus dem gesamten Umland. Mittlerweile zog sich die größte Endmoräne der Überflussgesellschaft von den verlassenen Anlegern der Stern- und Kreisschifffahrt, die im Schatten des S-Bahnhofs vor sich hinbröckelten, bis zum Neuköllner Schifffahrtskanal. Am Horizont ragte das alte Riesenrad im Plänterwald in den Himmel, dessen untere Hälfte im Müll verschwunden war.
    Zabriskie stieg aus und roch den süßlichen Dunst des Zerfalls. Über den Müllbergen kreisten die Möwen, und ihr schrilles Kreischen hallte tausendfach über das Wasser. Ein paar Flaschensammler huschten an ihr vorbei, die blauen Taschen bis zum Platzen gefüllt. Zabriskie fragte sich, warum sie die Flaschen nicht in die Supermärkte brachten, sondern auf die Halde schleppten.
    Durch den Fußgängertunnel betrat sie den kleinen Vorplatz. Kein Bonbonpapier, kein Pappbecher und keine Kippe lagen hier. Hier also lebten Menschen. Vielleicht müsste sie auch bald hierherziehen. Das wäre auf jeden Fall besser, als mit Dorfner zu wohnen. Seit ihrer ersten Wohnungsbesichtigung in fast zwei Jahrzehnten merkte sie, wie sehr sie an ihrer jetzigen Bleibe hing. Sie wollte da nicht weg.
    Ein Schiebetor aus Metall stand weit offen, und Bagger und Laster fuhren rein und raus. Ein Schild mit einem kleinen Männchen im roten Kreis bedeutete den Fußgängern, dass sie die Autotrassen nicht benutzen durften. Das war wahrscheinlich besser so. Gerade raste ein Laster hinunter zu den Kais. Seine Ladefläche war leer, und es klapperte ohrenbetäubend. Aus dem Auspuff kam eine schwarze Rauchschwade. Zabriskie musste husten.
    Für die Fußgänger war eine schmale Tür etwas abseits vorgesehen. Zabriskie trat ein und stand auf einem Trampelpfad aus Plastik. Das Plastik war gepresst und festgestampft, federte aber trotzdem unter ihren Füßen. Sie bekam weiche Knie und stolperte über einen Kleiderbügel, der ein paar Zentimeter aus dem Untergrund herausragte.
    Links und rechts vom Weg waren Vertiefungen im Plastik mit Absperrband gesichert.
VORSICHT PULPE
stand auf selbstgemalten Schildern und
KINDER NICHT SPIELEN, LEBENS-GEFAHR
. Der Boden war buntgesprenkelt, vorwiegend aber in blassen Blautönen gefärbt. Rot und Gelb bleichten schneller aus, übrig blieben das speckige Weiß von Einkaufstüten und Wasserkanistern sowie Blau in allen Schattierungen. Zabriskie erreichte eine Hügelkuppe und sah hinab. Ein Tal lag vor ihr, einige hundert Meter breit und mehr als zwei Kilometer lang: Hier war früher einmal der Treptower Park gewesen.
    Sie hatten hier oft beim Picknick gesessen. Wie lange war das her? Es hatte Grillwürstchen und Bier gegeben, und sie hatten gelacht und geredet und auf den mitgebrachten Decken herumgeknutscht und

Weitere Kostenlose Bücher