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Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Alef
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über Leitern erreichen. Ebenerdig waren Zäune um sie herumgezogen. Im Halbdunkel erkannte Zabriskie sich bewegende Schatten, vermutlich Ziegen oder Schafe.
    Auf den Dächern wiegten sich Blumen und andere Pflanzen im Wind. In der Ferne rauschte der Autoverkehr Richtung Köpenick vorbei.
    Hinter Zabriskie klingelte es. Sie fuhr herum und machte einen Schritt zur Seite. Auf einem Fahrrad quälte sich ein alter Mann den Berg hinauf. Er trug einen Ohrstecker, der im Sonnenlicht aufblitzte. Sein Gefährt war doppelt so hoch wie ein Fahrrad und hatte auch nicht die üblichen Reifen, sondern fuhr auf zwei Autoschläuchen. An seinem Gepäckträger hingen keine Fahrradtaschen, sondern ein gelber und ein orangefarbener Kanister aus Metall. Drei weitere Kanister waren zu einem festen Bündel verschnürt und auf dem Gepäckträger festgebunden. Wenn die Zeichen auf den Kanistern stimmten, war der Inhalt ätzend und sehr giftig.
    »Woher, wohin, schöne Frau?«, fragte der Mann, als er die Anhöhe erreicht hatte, und sprang vom Sattel. Das Fahrrad hatte keine Querstange. Der Mann hielt das Rad mit gespreizten Beinen aufrecht.
    »Ich suche einen Bekannten«, sagte Zabriskie. »Er heißt Haeckel.«
    »Na hoffentlich hat er Ihnen eine Karte gezeichnet. Hier gibt es nämlich keine Hausnummern. Und abseits der Hauptwege kann man nicht vorsichtig genug sein.«
    Zabriskie schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Karte. Es ist … ein Notfall. Ich brauche Haeckels Rat.«
    »Um was geht es denn?«, fragte der Mann.
    »Um eine Kontaktlinse.«
    »Ah, sagen Sie das doch gleich. Der Alte, der alles über Augen weiß.«
    Zabriskie nickte. »Sie kennen ihn?«
    »Nur vom Sehen. Er steht gerne an den Kais und hofft, dass etwas für ihn abfällt. Der Augenmann. Aber wo er wohnt, weiß ich nicht. Irgendwo beim Kopf in der Nähe.«
    »Beim Kopf?« Zabriskie zuckte die Schultern.
    »Durch die Weißen Berge durch, und dann noch ein ganzes Stück weiter. Am Kopf noch mal fragen. Halten Sie sich nach den Weißen Bergen möglichst weit rechts, im Gebiet links sind noch nicht alle Pulpelöcher gekennzeichnet.« Er schob sein Fahrrad an den Abhang. Bevor er aufsprang, drehte er sich noch einmal um. »Und ich hoffe, Sie haben eine Sonnenbrille dabei, schöne Frau.« Dann saß er im Sattel und rauschte wild klingelnd und mit scheppernden Kanistern den Trampelpfad hinunter.
    Zabriskie durchquerte das Tal. Links schaukelten zwei Kinder auf alten Autoreifen. Dahinter standen Behausungen, die ebenfalls aus alten Autoreifen bestanden. Die Reifen waren in der Mitte auseinandergeschnitten, und immer drei Hälften waren mit Draht zusammengebunden. Drei dieser Päckchen waren übereinander gestapelt und mit Metallband zusammengezurrt. Das Haus sah aus wie eine fette schwarze Blume mit sechs Blütenblättern, neun Reifen hoch. Das Dach stand offen, und eine dünne Rauchsäule stieg auf. Zabriskie hoffte, dass es eine Konstruktion gab, die Regen und Schnee abhielt, aber so oder so hatte sie ein mulmiges Gefühl bei der Vorstellung, man könnte sein Leben in einem Iglu aus Gummi zubringen.
    Die Kinder winkten ihr zu. Ihre Gesichter waren mit dunklen Schlieren überzogen, die Reifen färbten ab, aber sie schienen Spaß zu haben auf ihrer Schaukel. Zabriskie winkte nicht zurück. Mit Kindern, vor allem mit unehelichen, die aus dem Nichts plötzlich auftauchten und sie zur Obdachlosen machten, konnte sie nichts anfangen. Wer war so dummdreist, dieser Welt Kinder hinzuzufügen? Kinder seien eine so unglaubliche Bereicherung, hörte sie von allen dickbäuchigen Frauen aus ihrer Umgebung, die über Nacht anschwollen, bis sie so groß waren wie riesige Wassermelonen mit Armen und Beinchen und einem debilen Lächeln. Bereicherung, ja klar. Bereichert euch, fickt diesen Planeten in Grund und Boden.
    Auch aus den PET-Flaschen ließen sich Häuser bauen. Deshalb wanderte das Leergut nicht in den Supermarkt. Die Flaschen wurden auf unsichtbare Weise zusammengehalten, mit Perlonschnur oder mit Kleber. Sie sahen aus wie kleine Gewächshäuser. Man konnte den Menschen in die Wohnstube schauen. In einer der Hütten stand eine Frau am Bügelbrett. Ob sie nackt war oder ob sie enganliegende Unterwäsche trug, war nicht zu erkennen. Aber sie machte mit dem rechten Arm die typischen Bügelbewegungen. Entweder sie hatte halbkugelförmige Ohren, die so groß waren wie Pampelmusen, oder sie trug Kopfhörer. Die PET-Flaschen brachen und verzerrten den Blick. Mehr Privatheit schien die Frau

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