Immer Schön Gierig Bleiben
gedöst. Es hatte Leute gegeben, die Fußball gespielt hatten oder Volleyball, jemand hatte Gitarre gespielt, die Menschen hatten gelesen oder Schach gespielt.
Irgendwann war jemand auf die Idee gekommen, die Müllentsorgung in Brandenburg zu privatisieren, weil Wettbewerb effizienter war für die Durchführung öffentlicher Aufgaben. Die Ausschreibung hatte ein Dienstleister für sich entschieden. Der war wegen diverser Bilanzierungstricks pleitegegangen, und der Geschäftsführer hatte sich abgesetzt. Danach hatte sich kein neuer Anbieter gefunden, der im menschenleeren Umland bereit gewesen wäre, eine Infrastruktur für die Müllentsorgung aufrechtzuerhalten. Um den Staat zu verschlanken, war die öffentliche Müllentsorgung bereits abgewickelt worden. Sehr bald hatten die Brandenburger zur Selbsthilfe gegriffen und ihren Müll in die Stadt gebracht, wo die Müllentsorgung noch funktionierte. Erst stopften sie die Mülltonnen in den Außenbezirken wie Rudow, Staaken und Frohnau voll. Dann tauchte der Müll bergeweise auf den innerstädtischen Autobahnparkplätzen auf. Schließlich waren wilde Müllkippen in den Parks entstanden. Sie waren mit rasender Geschwindigkeit angewachsen und hatten die Bäume und Grünflächen verschluckt.
Am anderen Ende des Tals zog sich eine zerklüftete lange Mauer von hoch aufgetürmten weißen Kisten entlang. Wenn Haeckel wirklich im hinteren Bereich der Halde lebte, musste Zabriskie da durch, nachdem sie das Tal durchquert hatte.
Bis zu seinem unrühmlichen Abgang hatten Zabriskie und Haeckel ein rein kollegiales Verhältnis zueinander gehabt. Sie hatte zwei oder drei seiner Schulungskurse besucht, einmal waren sie sich in der Kantine begegnet und hatten zusammen Mittag gegessen. Das Gespräch hatte sich um berufliche Fragen gedreht, unter anderem die Schwierigkeiten einer präventiven Identifikation. Kein noch so ausgetüfteltes Gerät, ob Scanner oder Kamera, konnte die Arbeit der Ermittler ersetzen. Vielleicht hatte Haeckel über diese fachlichen Fragen hinaus eine Art väterlichen Narren an Zabriskie gefressen. Er hatte sie oft gelobt und schien Wert auf ihre Meinung zu legen. Zabriskie litt nicht an zu wenig Selbstbewusstsein, aber wenn der Mann mit dem zerfurchten Gesicht vor versammelter Seminargruppe gefragt hatte:
Und, was meint die Kollegin Zabriskie dazu?
, war sie mit sich und der Welt im Reinen gewesen. Sie hatte ihren Traumberuf gewählt, sie war eine gute Polizistin. Und von einer absoluten Koryphäe um ihre Meinung gebeten zu werden, ging ihr runter wie Öl. Wenn sie demnächst obdachlos war, und nicht mit einem Mausestall in Heiligensee oder Gropiusstadt vorliebnahm, würde sie vielleicht hier leben. Dann könnte sie mit Haeckel Kaffee trinken, und er konnte seine Theorie vom Auge als Erinnerungsspeicher noch einmal erläutern. Falls er wirklich hier lebte.
Ihre Augen hatten sich an den Dunst gewöhnt, der über dem Tal lag. Obwohl es früh am Nachmittag war, war die Sicht eingeschränkt. Über dem Wasser wurde die Wolkendecke dünner. Die Sonne würde noch herauskommen im Lauf des Tages. Die Fläche vor ihr war auf eine sehr systematische Art und Weise zoniert. Überall waren Menschen zugange. Rechts von ihrem Trampelpfad endete der Plastikuntergrund, der Boden ging in Holzsplitter und Sägespäne über. Ein paar Meter weiter standen Gebäude aus Altholz. Aus einer einfachen Hütte kam ein beständiges Krachen und Malmen. Ein schräg abgesägtes Rohr ragte aus dem Fenster. Das Rohr spuckte ständig kleine Stücke in einen Plastiksack. Hier wurden offenbar Holzpellets hergestellt. Gerade kam eine alte Frau hinter der Hütte hervor. Sie trug eine geblümte Kittelschürze und ein rotes Stirnband. Auf den Schultern hatte sie sich einen der Plastiksäcke geschnallt. Tief gebückt, mit zwei Skistöcken, fand sie Halt im Plastikuntergrund. Schritt für Schritt ging sie voran und überquerte den Hauptweg, der sie rechts zu dem weißen Gebirgszug und links zu Zabriskie geführt hätte. Nach ein paar Schritten bog sie jedoch scharf ab, stieg nach unten, in das Plastik hinein und war verschwunden.
Hinter der winzigen Pelletfabrik erstreckte sich eine ganze Reihe von wild arrangierten Holzhäusern. Sie ragten über drei Etagen auf, die oberen Stockwerke waren durch Brücken verbunden. Es gab schmale, schlangenförmige Balkone, die Fenster und Türen hatten keine rechten Winkel, sondern sahen verzerrt und verzogen aus. Die Häuser standen auf Stelzen, man konnte sie nur
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