Immer verlasse ich dich
alten Zimmer leben?«
»Was ist daran auszusetzen?« fragt er
herausfordernd.
»Vielleicht kann ich ein billiges Büro
in Newark bekommen«, überlege ich laut.
»NEWARK? Bist du von allen guten
Geistern verlassen? Weißt du nicht, daß da Beiruter Verhältnisse herrschen?«
»Und ich nehme an, Kip könnte die
Patienten auf der Veranda empfangen«, fahre ich fort.
Auf dieses Stichwort betritt Kip die
Küche und hebt eine Augenbraue bei meiner Äußerung.
Mein Vater sagt: »Das ist nicht
lustig.«
»Nein, ist es nicht«, antworte ich
ernst. »Es ist überhaupt nicht lustig. Wir verlieren nämlich alle die Tatsache
aus den Augen, daß Meg getötet wurde. Meg ist tot.« Die Worte liegen mir im Mund
wie Blei.
»Ja. Ja, darum geht’s eigentlich«, sagt
er und klingt traurig. Dann: »Du wirst dich doch nicht in die Sache reinziehen
lassen, oder?«
»Die Polizei befaßt sich schon damit«,
sage ich ausweichend.
Doch dafür ist er zu clever. »Ist Kip
da? Ich möchte mit Kip reden.«
»Sie hat einen Klienten da.«
»Sag ihr, sie soll mich anrufen«,
befiehlt er und legt auf.
Zum zweitenmal innerhalb von zehn
Minuten stehe ich mit einem leblosen Hörer in der Hand da. Ich lege auf und
drehe mich zu Kip um.
»Er will, daß du ihn anrufst.«
»Warum?«
»Um über die Möbelpacker zu sprechen.«
»Die Möbelpacker?«
»Ja, er denkt, wir sollten in mein
Zimmer ziehen.«
»Wovon redest du?« Sie geht zum
Kühlschrank und holt eines ihrer Tiefkühlgerichte heraus. Ich sage ihrer Gerichte,
weil es so ist. Neuerdings hat Kip festgestellt, daß sie gegen alle möglichen
Speisen allergisch ist, und hat angefangen, ihr Essen selbst zuzubereiten,
damit sie genau weiß, was sie auf den T eller bekommt. Das ist eine Nervenprobe
für uns beide, aus unterschiedlichen Gründen. Ich habe zum Beispiel niemanden
mehr, mit dem ich mir eine Pizza teilen kann. Himmel, jetzt klinge ich schon
wie meine Eltern!
Sie schiebt ihr Mittagessen in die
Mikrowelle. »Ich hätte heute allen absagen sollen«, sagt sie düster. »Ich meine,
was soll das, daß ich am Tag nach dem Tod einer Freundin arbeite?«
Ich gehe zu ihr, lege die Arme um sie.
Dies ist einer der Momente, in denen ich mir wünsche, größer zu sein als Kip,
damit sie ihren Kopf an meine Schulter legen kann, so wie ich bei ihr, wenn ich
Trost brauche. Ich tue mein Bestes, streichle ihren Rücken, küsse sie auf den
Hals.
Sie macht sich langsam los. »Wie geht’s
dir?«
Ich will »prima« sagen, doch plötzlich
breche ich wieder in Tränen aus. Und Kip ebenfalls. Wir heulen zusammen wie
zwei verwundete Tiere, die jämmerlichen Töne hüllen uns ein. Unsere Körper
lehnen aneinander, sie spenden und empfangen Trost. Schließlich, als wir uns
beide wieder vorsichtig anschauen, sehen wir jeweils ein nasses Gesicht, rote
Augen, verlorene Hoffnungen.
Die Mikrowelle holt uns mit ihrem
Summen ins Leben zurück, und wir drücken uns noch einmal, dann holt Kip ihr
Mittagessen heraus. Ich weiß auch nicht, warum, aber ich erzähle Kip nicht von
William und den zeitlichen Unstimmigkeiten. Dafür erzähle ich ihr von Arlene
Kornbluth und daß sie gesehen hat, wie ein Mann aus dem Geschäft rannte. Ich
erzähle ihr auch, daß Blythe mich versetzt hat und ich sie nicht finden kann.
Kip setzt sich mit ihrem Behälter mit
Reis und Bohnen an den Tisch. »Ißt du nichts?«
»Ich habe keinen Hunger.« Das stimmt ja
auch, ich sage jedoch nicht, aus welchem Grund, deshalb berührt sie meine Hand,
als sei mein Appetit wegen Megs Tod verschwunden. Ich komme mir gemein vor.
Bevor ich ein Geständnis ablegen kann, sagt Kip:
»Ich nehme an, es ist sinnlos, noch
einmal darüber zu diskutieren, ob du an dem Fall arbeitest.«
Ich setze mich. »Völlig sinnlos.«
»Immer kommt alles auf einmal«, sagt
sie rätselhaft.
Ich warte auf eine Erklärung.
»Tom hat angerufen. Er und Sam kommen
nach New York.«
»Wann?«
»In ein paar Tagen.«
Ich denke unwillkürlich: Ist Meg
dann wohl schon unter der Erde? Tom und Sam kannten sie nicht, wenn
sie sich auch ein- oder zweimal begegnet sind. Sie haben hier eine eigene
Wohnung, aber wir werden uns sicher mit ihnen treffen, und ich kann mir kaum
vorstellen, dann in fröhlicher Stimmung zu sein.
Kip sagt: »Sie kommen, um einige Ärzte
aufzusuchen.«
»Gibt es etwas Neues?« frage ich
beunruhigt.
»Nein. Es ist rein zur Vorbeugung. Du
weißt ja, alle Leute glauben, die besten Ärzte hätten sich in New York
niedergelassen. Und sie wollen sich wohl
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