Immer verlasse ich dich
offensichtlich hat sie das
Interesse an mir verloren. Fast zwölf Jahre den Bach runter.
»Wer steht auf deinem Terminplan?«
frage ich, als stünde zwischen uns alles zum besten.
»Lorna Doone, All About Alfie und ein
neuer.«
Lorna Doone heißt so, weil sie
unausgesetzt Lorna Doone-Plätzchen ißt. All About Alfie ist ein notorischer
Schürzenjäger.
»Könnte schlimmer sein«, sage ich.
»Könnte. Bis dann«, sagt sie und geht
durch die Küchentür zu ihrem Büro.
Es ist aus. Daran besteht für mich kein
Zweifel. Wie blöd war ich doch zu glauben, wir würden auf lange Sicht
zusammenbleiben. Wir haben sogar schon mal über ein Buch mit dem Titel Das
älteste lebende lesbische Paar sagt Ihnen, wie man‘s macht phantasiert.
Die Tür öffnet sich und Kip steckt den
Kopf in die Küche. »Wenn du heute auch nur noch ein einziges Gramm Fett ißt,
verlasse ich dich.«
Sie liebt mich!
Um halb zwei klopfe ich an Williams und Ricks Tür.
»Wer ist da?« fragt William.
»Veda Pierce«, antworte ich. Das ist
Mildreds Tochter in dem Film aus den Vierzigern, gespielt von Ann Blyth.
»Ist Kay Pierce bei dir?«
Vedas Schwester. »Nein, sie ist tot.«
Kay stirbt in dem Film. »Mach die Tür auf.«
Er tut es. »Veda«, erklärt er, »du bist
ja so klein.«
»Sehr witzig.«Ich tänzle an ihm vorbei
ins Apartment.
Rick, in Trainingsklamotten, steht auf
dem Nordic-Track, einem Foltergerät, das Langlaufski simuliert. Wie gewöhnlich
frage ich mich, weshalb die Leute Lust haben, es zu simulieren, wenn das
Original schon so schrecklich ist. Er schnauft angestrengt, und schon vom
Hören, vom Zusehen bekomme ich Lust, ein Nickerchen zu machen.
Ihr Apartment hat dieselbe Aufteilung
wie unsere erste Etage, das Zimmer, das Kip als Büro benutzt, ist allerdings
das Schlafzimmer. Ihr Warteraum ist Williams Arbeitszimmer, und Rick benutzt
als Arbeitsraum, was wir im Scherz als unser Vergnügungscenter bezeichnen.
Sie haben es in einem Stil dekoriert,
den sie Früher Ekklektizismus nennen. An erster Stelle steht die
Bequemlichkeit: Polstersessel, gemütliche Sofas. An den Wänden haben sie eine
Kollektion von Hudson River School-Gemälden hängen, von beträchtlichem Wert.
William, in einem dunkelblauen
Gap-T-Shirt, Jeans und Ledertretern, sieht abgespannt aus, als hätte er die
ganze Nacht wachgelegen. Unter den Augen hat er sehr dunkle Ringe. Ich schaue
auf sein Haar. Würde ihn jemand als blond bezeichnen? Er hat blonde Strähnen im
Haar, sicherlich. Doch das macht ihn noch nicht zu einem Blonden oder
Dunkelblonden, wie Arlene Kornbluth den Todesschützen beschrieben hat, oder?
Und was denke ich da überhaupt über meinen Freund? Dennoch bin ich gezwungen,
ihn zu fragen.
»Was steht auf deinem Schein über deine
Haarfarbe?«
»Auf welchem Schein?«
»Führerschein.«
»Ich habe keinen.«
»Er kann nicht fahren«, sagt Rick,
während er keuchend von seiner Foltermaschine steigt.
Ich staune. Wie kann es sein, daß ich
William so lange kenne, ihn so gut zu kennen glaube und das nicht weiß? »Wie
kommt’s?« frage ich.
Rick sagt: »Er hat Angst.«
»Wovor?«
»Vor Menschenansammlungen.«
»Wo soll ich denn schon hinfahren, zum
Cineplex?« fragt William.
»Du bist doch in Connecticut
aufgewachsen«, biete ich als logischen Grund an.
»Ich bin noch nie gefahren«, sagt er.
»Hatte keine Lust. Mir gefiel es immer, gefahren zu werden.« Er lächelt, seine
Augen funkeln fröhlich, er genießt seine Abhängigkeit.
»Wie kommt es, daß ich das nicht
wußte?«
»Man weiß ja nicht alles über
seine Freunde, oder?« fragt er.
»Fahren ist etwas so Fundamentales.«
»Fundamental für was?«
»Ach William, du weißt doch, was sie
meint.«
»Vergiß das Fahren. Wie würdest du
deine Haarfarbe nennen?«
»Du meinst, wie zum Beispiel Steven
oder Pierre oder...«
»William!«
Er lacht, als sei er ungezogen gewesen.
»Mir gefällt die Idee, meinem Haar einen Namen zu geben. Was hältst du von
Alphonse?«
»Hörst du auf. Welche Farbe hat
es?«
»Man kann kaum glauben, daß du einen
all die Jahre gekannt hast und nicht weißt, welche Haarfarbe man hat. Das ist
ja noch viel schlimmer, als nicht zu wissen, daß einer nicht fahren kann.«
Wenn William die »man«-Form benutzt,
dann entweder weil er witzig sein will oder weil er Angst hat. Ich entscheide
mich für das letztere. »Hältst du dich selbst für blond?«
»Hellbraun mit blonden Strähnen«,
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