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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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schwebt als Ziel der Park vor, daher gehe
ich nach Westen über die Bleecker zur Sixth Avenue, wo ich die Richtung nach
Uptown einschlage.
    Gefühlsmäßig bin ich ein Trümmerhaufen.
Völlig erschüttert. Es ist, als wären zwei Freunde gestorben, nicht nur einer.
Wie soll ich William jemals wieder trauen können?
    Am Washington Place biege ich rechts
ab. Als ich mich dem Haus meiner Freundin Susan nähere, spiele ich mit dem
Gedanken, kurz bei ihr vorbeizugehen (es stört sie nie), komme jedoch zu dem
Schluß, daß ich nicht gesellschaftsfähig bin... und was, wenn auch sie unsere
Freundschaft auf eine unerwartete Probe stellen würde? Ich weiß auch nicht, wie
das möglich ist, aber noch vor einer Stunde hätte ich meine Hand dafür ins
Feuer gelegt, daß William drogenfrei ist. Also was weiß ich schon von den
Menschen?
    Mir wird klar, daß ich mich betrogen
fühle, als hätte sein Drogenkonsum mehr damit zu tun, mich zu täuschen, als
sich selbst zu schaden, und ich schäme mich für meine egoistische Denkweise. Ich
bleibe stehen. Na schön, Laurano, sage ich mir, zieh dich endlich aus diesem
Morast an Selbstmitleid heraus und tu etwas Produktives. Vielleicht wäre ein
Plausch mit Nick Benning, Megs zweitem Ehemann, angebracht. Ich gehe zur Sixth
zurück und halte ein Taxi an.
     
    Der Fahrer, ein Mann Ende Fünfzig mit
einem Gesicht wie ein kalter Pfannkuchen, hält mit sonorer Stimme einen
Monolog.
    »In St. Vincent’s bin ich geboren,
Darlin’, verstehen Sie, was ich sage? Ich bin ein waschechter New Yorker
Taxifahrer. Diese Kerle, die hier rüberkommen, die Chinesen und Pakistanis...
die TLC kümmert es nicht, ob du einen Herzanfall kriegst, sie haben keine
Ahnung, wo die nächste Notaufnahme ist, verstehen Sie, was ich meine? Die
wollen bloß die sechshundert Mäuse für die Lizenz. Heute kann jeder Taxifahrer
spielen. Es geht alles zum Teufel. Einfach alles.
    Mögen Sie Katzen? Ich habe dieses
schwarze Kätzchen auf der Straße unter einem geparkten Wagen gefunden, es in
mein Taxi geladen, und seitdem isses bei mir, hab es nie zu einem Tierarzt
gebracht, nix. Ich glaube nicht an dieses Geschnippel und so. Die Katze ist wie
ein Hund. Folgt mir auf Schritt und Tritt. Haben Sie Katzen?
    Hab’ früher für Julie bei Measure
Movers gearbeitet, wußte nie, was der Name bedeutet. Julie, er ist jetzt
Millionär, sieht aus wie ein Gammler. Ein Gammler-Millionär. Läuft immer noch
in Schuhen ohne Socken rum, geht im Bistro einen trinken, wissen Sie, wo das is’?
Dieser Gammler-Millionär hat das Lager für fünfundzwanzig Riesen gekauft und es
für eineinhalb Millionen wieder verkauft.«
    »Hier steige ich aus«, sage ich an der
Ecke Madison und Thirtieth. Er redet weiter, als ich aus dem Taxi steige. Ich
schließe die Tür, werfe einen Blick durch das Fenster und sehe, daß sein Mund
sich immer noch bewegt. Weiß er überhaupt, daß ich ausgestiegen bin?
    Ich gestehe es, ich begreife die Leute
nicht, die gern ihre eigene Stimme hören. Ich weiß ja schon, was ich weiß,
deshalb finde ich es wesentlich interessanter zu hören, was andere denken.
Sogar der Fahrer... na, vielleicht doch nicht.
    Ich schaue mich um. Diesen Teil von New
York City finde ich öde. Obgleich es hier auch einzelne Wohnhäuser gibt, ist
diese Gegend doch in erster Linie ein Business-Bezirk. Trostlose Gebäude halten
sich bereit wie Fahnenträger, die auf den Beginn von was auch immer warten. Die
gelegentlichen Lebensmittelläden oder Zeitungsstände, versteckt zwischen
seriöseren Bauwerken, sorgen lediglich für minimale Abwechslung. An Wochenenden
ähnelt das Viertel einem Film über den Weltuntergang.
    Sycamore Publishing residiert in einem
bescheidenen sechzehnstöckigen Haus mit Marmorfoyer. Auf dem Gebäudeplan
entdecke ich, daß die Firma im sechsten und siebten Stock untergebracht ist.
Ich steige in einen wartenden Aufzug und drücke auf sechs. Natürlich rührt er
sich nicht, weil er darauf programmiert ist, noch eine gewisse Zeitspanne
stehenzubleiben, nachdem der erste Fahrgast ihn betreten hat, erst dann
schließen sich seine glänzenden Türen. Und ich bin der erste Fahrgast. Wenig
später steigen weitere Leute zu. Darunter ein magerer Botenjunge, der
Pappschachteln transportiert und die allgegenwärtige Baseballmütze verkehrt
herum trägt.
    Außerdem sind da zwei Frauen um die
Fünfzig, sehr gepflegt, die ein Gespräch fortsetzen, das sie draußen begonnen
haben.
    »Da er ein PVZ ist, kann ich verstehen,
warum Harriet es

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