Immer verlasse ich dich
tun will«, sagt die eine.
»Ich kann es auch verstehen, aber ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.«
»Nein, ich auch nicht.«
Ich möchte unbedingt wissen, was PVZ
ist. Wie werden die Frauen reagieren, wenn ich frage? Was können sie
schon tun, außer mir zu sagen, daß es mich nichts angeht? Sie können nicht die
Neugierpolizei rufen. Was werden die anderen Fahrgäste (die Kabine ist jetzt
halbvoll) denken, wenn ich sie frage? Kümmert mich das?
Nein. »Entschuldigen Sie«, sage ich zu
der netteren von beiden.
Sie weicht zurück, als hätte ich ihr
einen Schlag versetzt, völlig verängstigt, weil sie von einer Fremden
angesprochen wurde. Sie kneift die Augen zusammen und sagt: »Ja?«
»Ich weiß, es geht mich nichts an«, sage
ich und probiere es mit einem strahlenden Lächeln, merke allerdings gleich, daß
es nicht klappt. Die Frauen haben sich zurückgezogen, sie stehen mit dem Rücken
an der Wand. Ich wünschte, ich hätte nie damit angefangen. Aber jetzt kann ich
nicht mehr zurück, ich kann doch nicht einfach sagen »Hat sich schon erledigt«
oder schweigen. Ich muß weitermachen. »Würden Sie mir liebenswürdigerweise
erklären, was PVZ bedeutet?«
Beiden klappt der Unterkiefer herunter,
so als hätte ich sie gebeten, mir ihre Unterwäsche zu zeigen.
»Das ist ja unerhört«, zischt die Frau,
die ich nicht angesprochen habe.
Niemand sonst in der Kabine sagt ein
Wort.
»Tut mir leid«, sage ich. »Ich möchte
nicht...«
»Sie haben gehorcht, unser Gespräch
belauscht«, sagt die, die ich gefragt habe, ebenso entsetzt wie die andere.
»Nun, man konnte es ja schlecht
überhören«, sage ich schwach.
»Trotzdem.« In ihrer Stimme schwingt
ein Unterton mit, der mich auffordert zu verschwinden.
Schließlich gehen die Türen zu und der
Aufzug setzt sich in Bewegung. Ich bete, daß die Frauen vor mir aussteigen. Es
dauert einen Monat vom Foyer zur ersten Etage.
Sie steigen nicht aus. Andere schon,
sie werfen mir Blicke zu, als sei ich wahnsinnig, gehen vorsichtig um mich
herum. Die Türen schließen sich. Ich wäge das Risiko ab, wenn ich noch einmal
nachfragen würde. Dann, auf der dritten Etage, steigen die Frauen endlich aus.
Doch bevor die Türen sich schließen,
sagt die erste Frau: »PVZ bedeutet Permanenter Vegetativer Zustand. Und nun
schämen Sie sich hoffentlich.«
Im Gegenteil, ich bin erfreut, eine
Antwort erhalten zu haben, und kann es nicht erwarten, Kip von diesem Akronym
zu berichten, bei dem es sich offensichtlich um eine neue Bezeichnung für eine
Person handelt, die im Koma liegt. Harriet, nehme ich an, will den Stecker
rausziehen.
Als ich in der sechsten ankomme, haben
sich die verbleibenden Fahrgäste, die mich behandeln, als sei ich eine
Serienmörderin, in eine Ecke der Kabine zurückgezogen und blicken starr
geradeaus. Ich steige aus und muß mich zurückhalten, um nicht etwas ganz und
gar Bizarres zu tun, zum Beispiel ihnen auf Wiedersehen zu sagen.
Nick Benning ist Redakteur bei
Sycamore. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen und frage mich, ob er
mich empfangen wird, zumal ich keinen Termin habe. Termine sind ein Muß in New
York.
Der Warteraum von Sycamore Publishing
ist groß und mit bequem wirkenden Sesseln eingerichtet, die mit einem
beigefarbenen Noppenstoff überzogen sind. Ein großes weißes U stellt den
Empfangstresen dar. Die Frau dahinter hat schwarze Haare, zu einem Zopf
geflochten, der wie eine leblose Schlange oben auf ihrem Kopf liegt. Mein Blick
wandert gleich zu ihrem Mund, der dick mit blutrotem Lippenstift angemalt ist.
Ich nehme an, das ist genau die Stelle, wo ich hinschauen soll, weißjedoch
nicht, wieso. Ich sage, wer ich bin, frage nach Nick und erhalte die Reaktion,
die ich erwartet habe.
»Haben Sie einen Termin?«
Dies wird immer auf dieselbe Weise
gefragt, als sei man ein Anarchist, mindestens eine Person, die die
amerikanische Flagge verbrennt.
»Nein, aber wenn Sie Mr. Benning
ausrichten, daß ich hier bin...«
Sie stößt einen langen, herablassenden
Seufzer aus, nimmt den Telefonhörer, drückt auf ein paar Knöpfe, legt den Kopf
auf eine Seite und verzieht die rubinroten Lippen zur anderen.
»Mr. Benning, hier ist jemand für Sie,
eine Miss Laurano. Sie hat keinen Termin.« Ich sehe, wie sie mit der Zunge eine
Ausbuchtung in ihrer Wange formt, als wollte sie sagen , Jetzt wirst du’s
gleich sehen, du Arschloch. Doch langsam zieht die Zunge sich aus der Wange
zurück, der Kopf rückt sich gerade, die Augen weiten sich.
Weitere Kostenlose Bücher