Immer verlasse ich dich
ein
Zitronentörtchen (William), eine Portion Pekannußkuchen (Kip) und ein Stück
Blackoutkuchen (ich), der so dicht an ein Stück Schokolade herankommt, wie es
nur möglich ist. Kip war zu müde, um zu streiten.
Es ist Viertel vor zwei und trotz all
des Koffeins müssen wir gegen den Schlaf ankämpfen. Wir sind im Caffe Degli
Artisti, das eine Treppe hoch über der Straße liegt. Unser Tisch steht am
Fenster.
»Sieht ganz ruhig aus da draußen«, sage
ich.
»Für mich sieht es wie der Times Square
aus«, sagt Kip.
»Tja, wir können auch warten, bis in
zwei Stunden die Bars schließen, aber eigentlich finde ich, wir könnten jetzt
einen Versuch wagen.«
»Ich bin bereit«, verkündet William und
hebt die Hand, als sei er in der Schule.
Zögernd stimmt Kip zu. Wir nehmen die
Rechnung und gehen.
Die Sache mit New York ist die, daß die
Straßen niemals ganz frei sind, jedenfalls nicht im Village. Dies ist
ein Teil des Charmes der Stadt, ebenso wie eine Bedrohung. Es hängt davon ab,
was man vorhat.
Bis auf die Autos, die über die Sixth
Avenue rasen, hat sich das allgegenwärtige Summen gelegt. Die Straße ist mit
übriggebliebenen Leuten gesprenkelt, die mit den Remittenden eines Bücherbasars
viel gemeinsam haben.
Als wir die Greenwich überqueren
wollen, werden wir von einer jungen Frau aufgehalten, die betrunken oder stoned
ist. Sie trägt zerlumpte Kleidung, bei deren Anblick meine Mutter annehmen
würde, sie sei in einen Autounfall verwickelt worden, doch ich weiß, daß diese
Klamotten eine Menge kosten.
»Bitte, freundlicher Herr«, sagt sie zu
William, »bringen Sie mich zu Ihrem Anführer.«
»Ich habe keinen«, sagt er.
»Wurden Sie verlassen? Ist es das?«
Er wendet sich an mich. »Woher weiß sie
das?«
»Bitte«, sage ich und lotse ihn um die
junge Frau herum, deren Haar die Farbe von Rotkehlcheneiern hat; hübsch für
Augen, irritierend bei Haaren.
»Was macht dieses Kind um diese Zeit
draußen?« fragt Kip entrüstet.
»Kip, sie ist kein Kind. Sie ist um die
Zwanzig.«
»Ach was, Lauren, sie kann nicht älter
als dreizehn... höchstens vierzehn sein.«
Ich lächle. »Es liegt an deiner
Perspektive, Schatz. Wenn wir älter werden... sehen sie jünger aus.«
»Oh«, sagt sie leise, betrübt von dem
Wahrheitsgehalt meiner These.
Als wir bei Megs Geschäft anlangen, ist
die Straße einigermaßen leer. Ein obdachloser Mann schläft im Eingang zu Cicero’s,
und ein anderer Mann pinkelt in Langevins Türeingang. Gewöhnlich finde ich es
empörend, daß Männer anscheinend glauben, sie hätten das Recht, überall zu
urinieren, weil es so leicht für sie ist, aber heute abend erfreut mich dieser
Anblick. Wir warten, bis er fertig ist und in die entgegengesetzte Richtung
davongeht.
Kip und William stehen so, als blickten
sie in das Schaufenster des Ladens, um mich vor möglichen Passanten
abzuschirmen.
Ich hole mein Bund Dietriche hervor,
wähle einen aus und greife mit der freien Hand nach dem Türknauf. Die Tür
springt auf.
»Unglaublich«, sagt Kip.
»Nein«, protestiere ich. »Ich war’s
nicht.«
»Du warst was nicht?«
»Ich habe sie nicht geknackt. Es war
nicht abgeschlossen.« Ich bin flüchtig enttäuscht, weil ich Kip nicht mein
Geschick im Umgang mit Nachschlüsseln vorführen kann. Sie hat bisher nur davon
gehört, und das ist nicht dasselbe. Doch dieses oberflächliche Gefühl
verschwindet schnell, als ich über die möglichen Hintergründe der
unverschlossenen Tür nachdenke.
1. Die Cops haben vergessen, sie wieder
abzuschließen.
2. Jemand anders ist eingebrochen.
3. Jemand anders ist eingebrochen und
befindet sich noch im Laden.
Ich teile ihnen diese Möglichkeiten
mit.
»Laß uns nach Hause gehen«, sagt Kip.
»Ich denke, Möglichkeit Nummer eins
können wir streichen«, sage ich.
»Was ist mit Nummer drei?« fragt
William.
Ich zucke mit den Schultern. »Ich gehe
rein.«
»Lauren«, bittet Kip.
»Es ist mein Job. Sage ich dir etwa,
wie du deine Sitzungen aufziehen sollst?«
Was kann sie darauf sagen?
»Kommst du mit mir rein?« frage ich
William.
Er bejaht.
»Du bleibst hier draußen, Kip, und
warnst uns, falls jemand kommt.«
»Bist du von allen guten Geistern
verlassen? Du glaubst, ich bleibe zu dieser Zeit allein auf der Greenwich
Avenue stehen?«
»Prima.«
Vorsichtig schiebe ich die Tür auf, und
wir schleichen hinein. Als ich sie hinter uns schließe, sickert etwas Licht von
der Straße herein, aber wir treten schnell ins Dunkle.
Und
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