Immer verlasse ich dich
Halb-neun-Termin hätte, würde ich mich mit Kate Stimpson zum
Handballspielen treffen.«
Ich funkle sie an.
»War bloß ein Witz«, sagt sie. »In
Wahrheit fühle ich mich so, wie du aussiehst.«
»Danke.«
»Sieh es doch mal so: Ich habe nicht
deine Haut. Du wirst viel besser altern als ich.«
Irgendwie besänftigt mich das nicht.
Obwohl Kip ganz normal wirkt, weiß ich, daß sie noch unter Schock steht, weil
sie die Leiche entdeckt hat. Eine Premiere für sie.
»Ich kann es nicht glauben«, sagt sie,
als sie ihre Zeitung liest.
Ich singe: »Ich fühle eine Predigt
nahen. Bitte, o bitte, laß es nicht über Schmutz sein.«
»Jetzt kommt eine neue Zeitschrift
namens Crime Beat heraus. Das ist ja entsetzlich.«
»Wieso? Das Kriminalgenre ist momentan
überaus beliebt.«
»Es geht nicht um. Erfundenes.«
Sie liest wieder. »Das monatliche Nachrichtenmagazin des Verbrechens. Die erste
Ausgabe berichtet über das einzige überlebende Opfer von Jeffrey Dahmer. Ich
kann’s nicht glauben. Ebenfalls in der Ausgabe enthalten: ›Sie spielte die
Hauptrolle in Amerikas blutigstem Video.‹«
»Wer denn?«
»Ist das wichtig? Also ehrlich,
Lauren.«
Das Telefon läutet. Es ist Cecchi.
»Wir haben ihn identifiziert«, sagt er.
»Wallace Faye, alias Wally, alias Fingers Faye. Hat ein drei Seiten langes
Strafregister.«
»Was für Sachen?«
»Kleinigkeiten. Überwiegend Betrug.
Letztbekannter Kontakt: Alan Pesh, alias Alice.«
»Alice?«
»Wie in Alice im Wunderland. Mag kleine
Mädchen. Pesh ist ein kleiner Gauner. Seit fast zwei Jahren wieder draußen. Ich
fahre jetzt zu ihm.«
»Kann...«
»Ja, du kannst mitkommen. Wir treffen
uns um zehn am Platz.«
Ich springe auf.
»Was ist?«
»Ich treffe mich mit Cecchi.«
»Lauren? Du weißt doch noch, daß heute
nachmittag das Begräbnis ist?«
Ich werfe ihr einen vernichtenden Blick
zu.
»Entschuldige. Kommst du vorher noch
zurück?«
»Weiß nicht.«
Ich gebe ihr einen flüchtigen Kuß und
laufe nach oben, um mich anzuziehen.
Cecchi sitzt am Tresen des Coffeeshops
am Waverly Place. Als er mich sieht, steht er auf, zahlt, und wir sind im
Handumdrehen aus der Tür und in seinem Wagen, der in zweiter Reihe auf der
Sixth geparkt ist.
»Der Kerl wohnt drüben bei den Docks
auf der Twelfth, zwischen Twenty-fifth und -sixth.«
»Der Glückliche.«
»Ja, nette Gegend.«
»Weißt du, wo Pesh momentan seine
Finger drin hat?« frage ich.
»Nein. Aber da muß was laufen. Der Mann
legt nie die Hände in den Schoß, sozusagen.«
»Was hat diese Sache mit den kleinen
Mädchen zu bedeuten?« frage ich angeekelt.
»Genau das, was du denkst.«
»Wie klein?«
»Junge Teenager.«
»Du meinst, zum Beispiel dreizehn?«
»Ja.«
»Wie alt ist Pesh?«
»Achtundfünfzig, vielleicht sechzig.«
Ich bin wütend. Ich verachte Leute, die
Kinder mißbrauchen. Es kümmert mich nicht, welche Vorgeschichte sie haben, was
sie zu dem gemacht hat, was sie sind, ich habe keinerlei Geduld mit ihnen oder
Mitgefühl für sie übrig. Ja, ich verurteile sie, und ich werde es immer tun.
»Was kann Fingers Faye in Megs Keller gewollt haben?« frage ich.
»Ich dachte, du könntest es mir sagen.«
Wir hatten bisher noch keine Zeit,
darüber zu reden.
»Ich weiß es nicht.«
»Wie kamst du darauf, da unten
nachzusehen?«
Ich berichte, daß William auffiel, wie
nervös Meg war und wie sie immer zur Kellertür schaute.
»Warum hast du mir das nicht erzählt?
Du mußt aufhören, irgendwo einzubrechen, Lauren.«
»Du bist sauer.«
»Was glaubst du eigentlich, wie lange
ich dich noch decken kann?«
»Ich weiß. Es tut mir leid. Ich werde
versuchen, es nicht mehr zu tun.«
»Wie meinst du das, versuchen?«
»Ich kann es nicht versprechen.«
»Mein Gott«, sagt er zu sich. »Und was
war in den leeren Kartons? Glaubst du, es war Koks?«
»William glaubt es nicht.«
»Vielleicht wußte William nicht, daß
sie gedealt hat.«
»Schon möglich«, sage ich, denn
inzwischen habe ich das Gefühl, daß fast alles möglich ist.
»Ich weiß, es ist schwer für dich.«
»Es ist schlimmer, daß sie tot ist. Ich
will ihren Mörder finden, ganz gleich, was dahintersteckt.«
»Sie könnten sich gekannt haben, muß
aber nicht sein.«
»Richtig.«
»Ich denke, der Raubüberfall am frühen
Abend war ein Zufall.«
»Ich auch.«
»Und warum ist sie nach diesem Vorfall
nicht nach Hause gegangen?«
»Weil sie auf jemanden wartete«, sage
ich lässig.
»Richtig.«
»Und du glaubst, dieser
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