Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
Vom Netzwerk:
Gänseschar. Es ist zu schwierig, hier meinen Ausweis herauszuholen,
deshalb helfe ich der Wahrheit etwas nach.
    »Ich bin Polizistin. Noch einmal, und
du bist?«
    »Warum gehen Sie nicht einfach weiter«,
sagt er und überspielt seine Verlegenheit durch Wut, »dann wären wir alle
bedeutend glücklicher.«
    »Bewegt euch«, ruft jemand.
    »Ja, los doch.«
    »Ich werd meinen Zug noch verpassen.«
    Diesmal macht er nichts mehr. Oben auf
dem Treppenabsatz, als er in die eine Richtung gehen will und ich in die
andere, tippt er mir auf die Schulter.
    »Sie haben einen hübschen Arsch«, sagt
er unbekümmert und hastet weiter.
    Wieso versetzt mich das in Erstaunen?
Weil die Leute immer dreister werden, als hätten sie das Recht, mit jedem zu
tun, wozu sie Lust haben? Ich weiß nicht wohin mit meiner Wut, der Mann ist
verschwunden, deshalb tue ich, was Millionen von Frauen vor mir getan haben:
Ich schlucke sie hinunter.
    Als ich auf der Straße anlange, gießt
es nach wie vor in Strömen. Ich spanne meinen neuen Schirm auf, und
augenblicklich wird er von einem starken Windstoß umgestülpt. Ich bin heilfroh,
daß der Zehn-Dollar-Verkäufer nicht in der Nähe ist und es sieht. Ich kann mich
nicht gleich mit meinem Schicksal abfinden, deshalb werde ich weiter naß,
während ich mich abmühe, das verflixte Ding wieder funktionstüchtig zu machen,
doch keine Chance. Ich werfe den Schirm in einen orangefarbenen Mülleimer, der
bereits vier weitere Schirmleichen beherbergt, und wate so schnell ich kann in
Richtung Fifth Avenue.
     
    Die Büroräume von Nichols
& Thompson befinden sich in der vierzehnten Etage eines neuen Gebäudes.
Im Aufzug, wo sich das Wasser rings um meine vollgesogenen Turnschuhe auf dem
beigefarbenen Teppichboden sammelt, behandeln mich die Leute, als hätte ich
eine ansteckende Krankheit. Das Haar klebt mir an Ohren, Wangen, Hals, und die
Kleidung haftet obszön an meinem Körper.
    Als ich aus dem Lift steige, bilde ich
mir ein, ein befreites Aufatmen zu hören. Ich mache quatschende Geräusche und
hinterlasse eine Wasserspur, als ich der Hinweistafel folge, die den Weg zu
Blythes Firma zeigt.
    Zwei große Glastüren mit Glasklinken
zieren den Eingang zu Nichols & Thompson. Ich will eine der Türen
öffnen, doch sie gibt nicht nach. Drinnen spricht eine Frau hinter einem weißen
runden Tresen am Telefon und schaut nicht in meine Richtung.
    Hinter den Türgriffen befinden sich
Messingtafeln, und an einer glitzert ein Knopf.
    Ich drücke darauf.
    Die Frau blickt auf.
    Und tut nichts.
    Sie starrt mich an, und mir wird klar,
daß mein durchweichter Zustand der Grund für ihr Mißtrauen ist. Sie sagt etwas
in den Hörer, legt ihn auf die Gabel.
    Die Frau, die Ende fünfzig, Anfang
sechzig ist, streicht seitlich über ihr braungefärbtes Haar. Sie kommt hinter
dem Tresen hervor. Ihr geblümtes Kleid verhüllt einen klumpigen Körper. Oder
hat sie nur das Kleid mit Auberginen ausgestopft?
    An der Glastür fragt sie angstvoll:
»Was wollen Sie?«
    Ich kann es zwar nicht hören, aber von
ihren Lippen ablesen.
    Ich forme die Antwort mit dem Mund.
»Ich möchte zu Blythe Benning.« Und ich weiß schon, was sie darauf erwidern
wird.
    »Haben Sie einen Termin?«
    Ich habe recht. »Ja«, lüge ich.
    »Wie lautet Ihr Name?«
    Ich sage es ihr.
    Sie zögert, als versuche sie sich zu
entsinnen, ob der Name in ihrem Terminbuch steht. Trotz meines abschreckenden
Äußeren trifft sie anscheinend die Entscheidung, daß ich ungefährlich bin, denn
sie öffnet die Tür.
    Ihre Nasenflügel beben, und ich frage
mich, ob ich wohl rieche. Ich folge ihr zum Tresen, wo sie in ihrem Terminbuch
nachsieht und zu mir aufschaut, ohne den Kopf zu heben. »Sie haben gelogen.«
    »Ja«, sage ich. »Aber Blythe wird mich
empfangen.« Ich werfe einen Blick auf ihr Namensschild: Deanna Rosner. »Ms.
Rosner, sagen Sie ihr einfach Bescheid, bitte.«
    »Wie konnten Sie mich so anlügen?«
fragt sie, aufrichtig schockiert.
    »Könnten Sie ihr bitte Bescheid sagen?«
    Sie setzt sich mit einem Plumps hin,
als hätte ihr jemand einen Stoß gegeben. »Was geht hier vor?« fragt sie
rhetorisch. »Früher konnte man auf dieser Welt den Leuten noch vertrauen, man
hatte nicht ständig Angst, man sah die Mühseligen und Beladenen und konnte
ihnen glauben, man...«
    »Ms. Rosner?«
    »...konnte den Antilopen beim Spielen
zusehen. Man konnte tief im Herzen von Texas sein. Man...«
    »Deanna?«
    »Ja?«
    »Hübscher Name«, sage ich.
    »Nach Deanna Durbin,

Weitere Kostenlose Bücher