Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
Vom Netzwerk:
nutzlose Übung vollbringen und
auf ein Taxi warten. Mein Zuhause winkt. Doch je länger sich die Untersuchung hinzieht,
um so unwahrscheinlicher wird ein erfolgreicher Abschluß.
    »Wieviel?« frage ich den
Schirmverkäufer. Es erstaunt mich immer wieder, wie sie pünktlich beim ersten
Regentropfen auftauchen. Wo leben sie, wenn die Sonne scheint?
    »Zehn Dollar«, sagt er.
    »Zehn?« protestiere ich lautstark.
    »Der hier hält lange«, erklärt er.
    »Aber zehn ist eine Frechheit. Ich kann
überall Schirme schon für fünf Dollar bekommen.«
    Er zuckt mit den Schultern, als wolle
er damit sagen, daß es schließlich meine Entscheidung sei, ob ich naß werde
oder nicht, oder ob ich ein minderwertiges Produkt wolle, ihn kümmere es nicht,
er werde seine Schirme schon los. Magja stimmen, aber zehn Dollar, das ist
einfach Wucher. Aus Prinzip (von Geldgründen ganz zu schweigen) lehne ich ab.
    »Auf Wiedersehen«, sagt er fröhlich.
    Ich antworte nicht. Die Ampel springt
um, und ich gehe zur Ostseite der Sixth hinüber. Mir fällt ein neues Schild im
Fenster von Gray’s Papaya auf: »Auf allgemeinen Wunsch wieder im Sortiment: Hot
Dogs für 50 Cents.« Ich bin entzückt. Die Erinnerung an den »phantastischen«
Salat ist bereits verblaßt, doch ich habe keine Zeit.
    Ein weiterer Schirmhändler steht vor
Dalton’s.
    »Fünf Dollar«, sagt er, noch bevor ich
frage.
    Das klingt schon besser. Ich krame in
meiner Handtasche, finde einen Fünfer. Er hält mir einen Plastikbeutel hin, der
sechs oder sieben Schirme zur Auswahl enthält. Ich suche einen blauen aus.
    Ich öffne meinen neuen Schirm, während
ich die Sixth hinuntergehe. Es ist das Grundmodell, ohne jedwede
Kinkerlitzchen: die Plastikbespannung, ein Griff, ein Metallding, das man
hochschiebt, um ihn zu öffnen, ein weiteres Metallding, in das es einrastet.
Was braucht man mehr?
    Rätselhaft ist mir folgendes: Ich werde
trotzdem noch naß. Regen bespritzt mich von vorn, deshalb neige ich den Schirm
in die Richtung, aus der er zu kommen scheint. Es klappt. Doch jetzt wird meine
gesamte Rückseite durchnäßt. Ich experimentiere mit den Einfallswinkeln, und
als ich es endlich richtig hinbekomme, bin ich an der U-Bahnstation angelangt.
    Auf halber Höhe der Treppe schließe ich
den Schirm, halte ihn seitwärts, damit er nicht in Kontakt mit meiner nassen
Kleidung kommt. Das macht wenig Sinn, aber es ist eben Teil der Schirmetikette.
    Unter der Erde ist es heiß, stickig.
Dampf umwabert die Menschen wie ein Fluidum. Der Bahnsteig ist überfüllt,
daraus schließe ich, daß die Leute schon eine ganze Weile warten und der Zug
jeden Augenblick kommen muß. Wieso bin ich nicht klüger? In der wunderbaren
Welt der U-Bahnen folgt aus A nicht unbedingt B.
    Ich schaue mich unter den Fahrgästen
um. Kein einziges lächelndes Gesicht. Auch die Gesellschaft seinesgleichen
macht den Menschen nicht glücklich. Alle sehen gequält aus.
    Der unvermeidliche Amateurmusiker
spielt auf einer Gitarre und singt. Sein Koffer steht geöffnet vor ihm, und in
dem verblichenen grünen Inneren liegen einige Banknoten und ein Haufen Münzen.
Dieser Unterhaltungskünstler hier stößt lediglich durchdringende Schreie aus,
was auch nicht viel schlimmer ist als das, was andere seines Standes zu bieten
haben, die so ziemlich allem zwischen einer Betonmaschine und einer verletzten
Krähe ähneln.
    Ich versuche zu enträtseln, was er
singt, es gelingt mir aber nicht. Es liegt nicht daran, daß er in einer fremden
Sprache singt, denn ein gelegentliches der, er, sie, ich kann ich
unterscheiden.
    Der Sänger ist jung, sieht wohlgenährt
aus, und seine Kleidung ist, wenn auch nicht ultramodern, so doch
zweckdienlich. Ich sehe zu, wie eine Frau einige Münzen in den Koffer fallen
läßt. Wahrscheinlich hat sie die Hoffnung, daß er mit dem Singen aufhört, wenn
er genügend Geld zusammenhat. Er nickt der Frau zum Dank zu und fährt mit dem
Geklimper und dem Gekreische fort.
    Er fällt mir allmählich auf die Nerven.
Ich weiß, daß er keine Lizenz hat, und spiele mit dem Gedanken, ihn darauf
anzusprechen. Doch das würde lediglich eine Szene provozieren, und der Zug
müßte jeden Augenblick kommen. Müßte ist hier das Schlüsselwort.
    Er beendet den Song. Niemand klatscht
Beifall. Es herrscht ein Augenblick seliger U-Bahn-Stille, dann fängt er von
neuem an. Ich höre einen Zug und bin erleichtert, daß ich nicht noch eine
weitere Nummer über mich ergehen lassen muß.
    Der Zug fährt ein.
    Auf der

Weitere Kostenlose Bücher