Immer wenn er mich berührte
und Rhythmus, nur auf ihren Herzschlag horchend.
»Ich liebe dich, Gaby.«
»Sehr oder nur so ein bißchen?«
»Sehr.«
Ihre Hände zogen seinen Kopf zu sich herunter. Sie sahen sich in die Augen, ihre Lippen berührten sich, zärtlich, atemlos, hemmungslos.
»Ich möchte jetzt weit weg sein«, sagte er.
»Wo?«
»Wo keine Leute sind, wo es nur uns gibt, dich und mich.«
Gaby brauchte nichts zu antworten. In ihren schmalen grünen Augen las er die Antwort.
»Komm«, sagte er, »laß uns hier weggehen.«
»Nicht durch den Saal, Jürgen«, flüsterte sie, »ich bin nicht allein hier und möchte nicht gesehen werden …«
»Ein Freund?« fragte er mißtrauisch.
»Ein netter Kerl, weißt du. Aber er hat keine Bedeutung. Er liebt mich und ist gewohnt, von mir schlecht behandelt zu werden.«
»Hoffentlich habe ich Bedeutung?«
Leise und erregt kam die Antwort von ihren Lippen. »Kann ich mehr, als jetzt mit dir gehen?«
Nein, das konnte sie nicht. Ein rasendes Glücksgefühl überfiel ihn. Ein Rausch, der ihn schwindlig und ungeduldig machte, der ihm das Reden verbot.
Ging es ihr genauso?
Ohne ein Wort zu sagen, steuerte Gaby ihren Sportwagen nach Hause. Erst in der Garage beugte sie sich zu ihm herüber. »Papa ist verreist. Wir müssen trotzdem leise und vorsichtig sein. Wir gehen hinten rein – da merkt es das Personal nicht.«
Ihr Zimmer lag im ersten Stock. Die Teppiche verschluckten zum Glück ihre Schritte. Gaby drückte die Tür hinter sich zu, glitt lautlos aus ihrem Mantel und legte ihre Arme um ihn.
Er hob sie hoch und trug sie auf ihr Bett.
Die Nacht gehörte ihnen.
Die Praxis des Nervenarztes Dr. Sartorius befand sich in Bogenhausen, in einer alten Villa mit Stuckfassade und vielen hohen Fenstern.
Um halb sieben am Abend – draußen war es schon längst dunkel – stand Janine dem Arzt zum ersten Male gegenüber. Er war überraschend jung, fast schmächtig. Er trug eine Hornbrille und sprach mit leiser, angenehmer Stimme.
Sein Zimmer wirkte schmucklos. Ein großer Wandschrank, ein Schreibtisch, eine Couch, ein paar Bilder an der Wand.
»Ich werde Sie Fräulein Laurent nennen«, sagte er lächelnd. »Vorläufig, bis wir Ihren richtigen Namen wissen.«
Janine nickte.
»Herr Doktor Haller hat mich über Ihren Fall genau informiert«, fuhr der Arzt fort, »ich habe die neurologischen Befunde hier und kenne ihre Geschichte …«
»Ist Ihnen denn so ein Fall schon einmal begegnet?« erkundigte sich Janine.
»Mit Gedächtnisstörungen haben wir es an sich häufig zu tun«, antwortete er. »In diesem Ausmaß wie bei Ihnen ist mir jedoch nur ein Fall bekannt … ich denke, das war drei oder vier Jahre her …«
Janine sah ihn gespannt an.
»Ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Nach einem Verkehrsunfall hatte er jede Erinnerung verloren. Ich habe ihn hier behandelt und bin nach einigen Wochen auch zum Erfolg gekommen. Des Rätsels Lösung war, nachträglich betrachtet, nicht besonders kompliziert. Als er verunglückte, hatte sich der Mann in einer außergewöhnlich schwierigen Lebenssituation befunden. Verstehen Sie? In einer Situation, die er gern vergessen wollte. Der Verkehrsunfall kam ihm entgegen, psychologisch absolut folgerichtig löste der Schock den Erinnerungsverlust aus.«
»Ich verstehe«, sagte Janine. »Sie meinen, bei mir könnte es ähnlich sein? Sie meinen, ich hätte mein Gedächtnis verloren, weil … weil ich etwas Schlimmes vergessen wollte?«
»Vielleicht, Fräulein Laurent. Vielleicht auch nicht. Wir werden sehen. Immerhin: der Schock hat Ihre Intelligenz nicht beeinträchtigt, Ihren Verstand, wenn Sie so wollen, Ihre Merkfähigkeit, Ihre Bildung, Ihre Sprachkenntnisse. Sie wissen, wer Friedrich der Große ist, aber Sie wissen nicht, wer Ihre Mutter ist. Sie haben ausschließlich Ihr persönlichstes Erinnerungsvermögen verloren –«
Janine schwieg. Es fiel ihr auf, wie still es in diesem Zimmer war. Kein Laut drang von außen herein. Es war, als ob die Wände und Türen gepanzert seien, gepanzert mit Schweigen. Der Mann, der seine Ausweglosigkeit vergessen hatte, hatte er hier sein Gedächtnis wiedergefunden? Hier, vor diesem Schreibtisch?
»Herr Doktor Haller hat mir gesagt, daß Sie mit einer Hypnosebehandlung einverstanden wären?«
»Ja.«
»Haben Sie Angst?«
»Nein«, erwiderte Janine. »Aber ich glaube nicht recht daran, ich werde kein gutes Medium sein.«
Dr. Sartorius zeigte die Spur eines Lächelns. »Ich darf Ihnen versichern, daß Hypnose
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