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Immer wenn er mich berührte

Immer wenn er mich berührte

Titel: Immer wenn er mich berührte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Direktor Balke begleitete ihn bis zur Tür. »Unser Fahrer wartet unten im Hof auf Sie.«
    »Herzlichen Dank!«
    Jürgen Siebert stieg in einen silbergrauen Mercedes. Der Chauffeur war schon ein etwas älterer Herr. Er sprach breitestes Bayerisch und hieß Kreißelmeier. Jürgen hatte für Namen ein gutes Gedächtnis.
    »Schaffen Sie es zum Flughafen, in zwanzig Minuten, Herr Kreißelmeier?«
    »Ich hoffe es.«
    Jürgen saß zurückgelehnt im Fond des Wagens. Er dachte an Gaby, die sein Leben vollständig umgekrempelt hatte. Tausend Dinge schossen ihm durch den Kopf, und im Grunde achtete er auf den Weg überhaupt nicht. Er sah mehr zufällig aus dem Fenster, ohne das Geschehen auf der Straße exakt zu registrieren. Er hätte nicht genau zu sagen gewußt, wo sie im Augenblick fuhren.
    Sie fuhren jedenfalls langsam, in der Kolonne. Und deshalb sah er auf dem Gehsteig, vielleicht zwanzig Schritte vor sich, unter einem Dutzend Passanten plötzlich einen blauen Mantel, blonde Haare, den Wischer eines Gesichts, eine Handbewegung …
    Jürgens Hände krampften sich zusammen. Die Scheiben verschwammen vor seinen Augen, aber durch den Nebel hob sich doch diese zarte Mädchengestalt ab, ein Geist, ein Gespenst und doch Wirklichkeit, Schritt für Schritt sich von ihm entfernend.
    Schweiß brach ihm aus allen Poren.
    »Kreißelmeier«, schrie er, »halten Sie sofort an!«
    Und dieses Ungetüm antwortete: »Ich kann hier nicht halten, beim besten Willen nicht, Herr Siebert.«
    Da trommelte er in höchster Erregung mit den Fäusten auf den Rücken des Fahrers. »Sie halten jetzt, Kreißelmeier! Los, rechts auf den Gehsteig hinauf!«
    Der Wagen stand noch nicht, da sprang er schon heraus, rannte fast eine Frau um, stürzte weiter. Passanten regten sich auf, schimpften hinter ihm her.
    Sie wußten nicht, daß Jürgen Siebert eben eine Tote gesehen hatte – Janine.
    Jürgen Siebert rannte zurück, stolperte über einen Schneehaufen, schlug der Länge nach auf das vereiste Pflaster. Er war schnell wieder hoch. Die rechte Hand blutete.
    Die Lichtampel sprang von Gelb auf Rot. Autos fuhren an. Er wollte trotzdem über die Straße, aber ein Mann packte ihn am Ärmel und riß ihn zurück.
    »Sie sind wohl lebensmüde, was?«
    Jürgen gab keine Antwort. Er preßte die Lippen zusammen und starrte feindselig auf den Verkehrsstrom. Du hast einen Sarg gekauft, Jürgen, pochte es in seinem Gehirn, du hast deine Frau auf dem Heidefriedhof begraben, du hast einen schönen weißen Grabstein mit ihrem Namen setzen lassen, aber vorhin ist sie da drüben spazierengegangen. Mach dir nur nichts vor, du hast sie deutlich gesehen.
    Als er endlich die Fahrbahn überqueren konnte, fühlte er Blei in seinen Beinen. Trotzdem zwang er sich dazu, zu laufen, zu rennen, geradeaus, linksherum, rechtsherum, vorbei an der Straßenbahnhaltestelle, in Seitenstraßen hinein, wieder zurück, er warf mißtrauische Blicke auf Hauseingänge, Toreinfahrten, er spähte hinter Schaufenster und Ladentüren.
    Weg war sie. Verschwunden. Irgendwohin gegangen, wo er ihr nicht folgen konnte. Ein Spuk, ein Gespenst.
    Er griff mit der Hand an seine Kehle, als wollte er sich von etwas befreien, von etwas Unfaßbarem. Aber Gespenster wird man nicht mehr los, wenn man sie einmal gesehen hat. Das Bild, das seine Augen festgehalten hatten, ließ sich nicht auslöschen. Er konnte es nicht ins Reich der Träume verweisen, es war so deutlich, als hätte es eine Kamera geschossen.
    Er blieb stehen, ging weiter, jemand stieß ihn an, ohne daß er es merkte. Bilder stiegen auf, Bilder aus der Vergangenheit. In München hatte sein Leben mit Janine begonnen. Erinnerst du dich, Jürgen, an die kleine süße Wohnung in der Sulzbacher Straße, an das Messingschild an der Tür, an die Flitterwochen, an den ersten Plattenspieler, den sie dir zum Geburtstag gekauft hatte, an das Café um die Ecke, an die roten Vorhänge im Schlafzimmer, an ihr marineblaues Kostüm …
    »Herr Siebert«, riß ihn eine Stimme aus seinen Gedanken, »ich habe den Wagen bei der Tankstelle geparkt. Aber das Flugzeug erwischen wir jetzt nicht mehr.«
    Jürgen drückte dem Chauffeur Kreißelmeier einen Zehnmarkschein in die Hand. »Das ist für den Schreck, Herr Kreißelmeier«, sagte er, »wissen Sie, ich habe nach langer Zeit jemanden wiedergesehen, da konnte ich nicht warten, bis Sie einen Parkplatz gefunden haben.«
    »Versteh ' ich«, brummte der Chauffeur.
    »Fahren Sie jetzt zum Werk zurück, Herr Kreißelmeier. Ich

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