Immer wenn er mich berührte
blaue Jerseykleid.
Sie sah ihm entgegen, mit Augen, die auf ein fernes Ziel gerichtet schienen. Kein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Nur die Bewegung, mit der sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich – die kannte er.
Jürgen erfaßte der Mut der Verzweiflung. Er gab seinen Mantel an der Garderobe ab, nickte einen Gruß und erklomm den Barhocker neben ihr.
Ich werde einen anderen Weg finden, dachte er. »Was darf ich Ihnen bringen?« fragte der Barmixer.
»Einen großen Whisky«, antwortete Jürgen. »Kanadischen. Halb mit Wasser, bitte.«
Was Janine trank, konnte er nicht genau feststellen. Gin Fizz oder so etwas ähnliches. Früher, dachte er, wäre sie überhaupt nicht allein in eine Hotelbar gegangen.
Früher. Dieses Wort, so überlegte er sich, mußte er aus seinem Gedankenkreis streichen. Die Frau, mit der er verheiratet war, und die Frau, die da neben ihm saß, hatten nur die äußerlichen Merkmale gemeinsam. Das Gewic ht, die Größe , die Farbe der Augen, die Form der Hände, aber sonst waren es zwei verschiedene Wesen.
Es war Zeit, daß er sich daran gewöhnte.
Als sie nach der Zigarettenschachtel griff, ließ er die Flamme seines kleinen goldenen Feuerzeugs aufspringen. Die Janine von früher hatte es ihm mal zum Geburtstag geschenkt. Die neue Janine hatte davon keine Ahnung.
»Danke«, sagte sie.
Jürgen zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Und wenn sie zehnmal meine Frau ist, dachte er, ich muß sie jetzt wie eine Fremde behandeln. Ich muß ein Gespräch anfangen, muß mich an sie herantasten, muß herausbringen, wie es um sie steht …
»Wo haben Sie nur diese blauen Augen aufgetrieben, gnädiges Fräulein?« redete er sie an.
»Geschenkt bekommen«, antwortete sie.
»Sicher sind Sie auch noch ein Sonntagskind?«
»Nein.«
Janine drehte ihr Glas in der Hand, blickte an ihm vorbei. Unglaublich, daß sie vor drei Monaten noch zusammen in Ehebetten geschlafen hatten. Die roten Rosen zum Hochzeitstag, die Zärtlichkeiten, die Liebe – ihm schien das eine Ewigkeit her zu sein. Und sie hatte es überhaupt vergessen.
Trotzdem, das erkannte er nie so klar wie jetzt, bedeutete sie für ihn eine riesengroße Gefahr. Ihre Existenz konnte alle seine Pläne zunichte machen.
»Sind Sie traurig?« fragte er.
»Sehe ich so aus?« fragte sie zurück.
»Nein. Ganz und gar nicht. Nur – seit ich Sie kenne, habe ich Sie noch nicht lachen gesehen.«
»Seit wann kennen Sie mich denn?« Die Frage kam schnell, und sie sah ihn dabei an. Und er fühlte sich einen Augenblick lang nicht mehr sicher.
»Gestern in der Hotelhalle«, sagte er rasch, »da sind mir Ihre blauen Augen zum ersten Male aufgefallen. Wir sind nur aneinander vorübergegangen. Sie werden sich kaum daran erinnern.«
»Doch«, gestand sie, »ich kann mich genau erinnern.«
Jetzt lächelte sie sogar ein bißchen. Er erschrak, wie sehr es das alte Lächeln war, dieses scheue, zärtliche Lächeln, das ihm einmal Glück bedeutet hatte.
Jürgen bemühte sich, das Gespräch nicht abreißen zu lassen. Es fiel ihm nicht schwer. Er besaß Geschick darin. Und außerdem kannte er sie. Er wußte, was sie an Männern schätzte, was ihr gefiel, was ihr mißfiel …
Er erzählte Geschichten, über die sie lachen mußte. Manche davon hatte er ihr schon einmal erzählt, aber das spielte keine Rolle. Ihr Gedächtnis glich einem gelöschten Tonband.
Außer zwei Männern, die sich über Geschäfte unterhielten, waren sie in der kleinen Bar die einzigen Gäste.
»Darf ich Sie zu einem Glas Champagner einladen?« fragte er.
Janine zögerte.
»Bitte«, sagte er.
Sie gab nach.
»Sie sind nicht nur ein hübsches Mädchen«, lobte er sie, »Sie sind auch sehr nett.«
»Was wollen Sie jetzt von mir hören?« lachte sie ihn an.
»Daß ich ein netter Mann bin, natürlich.«
»Das sind Sie auch«, sagte sie und griff nach ihrem Glas. Ihre Hände berührten sich dabei wie zufällig.
Jürgen sah dem Kellner zu, wie er elegant die Champagnerflasche entkorkte. Janine müsse verrückt sein, das hatte er sich ganz fest eingebildet. Er war darauf gefaßt gewesen, mit einer Geisteskranken zu sprechen. Das Irrenhaus sollte ihre nächste Station sein. Nichts war übriggeblieben von dieser Spekulation. Janine schien so normal zu sein wie tausend andere Mädchen.
Nicht mal traurig ist sie, dachte er verbittert. Sie lacht, trinkt, raucht, redet, und ich Wahnsinniger flirte mit ihr, gebe mich lustig, mache Komplimente, anstatt sie in die Hölle zu
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