Immer wenn er mich berührte
ihr den Arm um die Schulter. Die andere Hand hatte er in der Manteltasche vergraben.
»Ganz plötzlich hat die Isar Hochwasser«, sagte Janine.
»Das kommt von der Schneeschmelze«, bemerkte er und zwang sich dazu, seine Erregung zu verbergen.
Vier oder fünf Meter unter ihnen jagte donnernd der Fluß dahin. Über Nacht war die Isar zu einem schmutzig-braunen, gefährlichen Strom angeschwollen.
Du kannst nicht schwimmen, Janine, tickten in Jürgen die Gedanken. Ich weiß, daß du nicht schwimmen kannst. Und du wiegst kaum etwas, spielend könnte ich dich über das Geländer werfen. Dein Schrei würde in dem Rauschen des Wassers untergehen. Deine Leiche wird vielleicht nie gefunden werden. Und wenn, dann sehr viel später, an einem ganz anderen Ort.
Seine Hand in der Manteltasche begann zu zittern. Er schloß sie zur Faust. Ich bin nicht mal ein Mörder, Janine. Denn du bist schon tot, den Akten nach bist du schon tot …
Jürgen sah sich vorsichtig um. Die Gegend war einsam. Zeugen hatte er nicht zu fürchten. Ich könnte dich küssen, dachte er, und dabei über das Geländer drücken. Und alle meine Probleme wären gelöst …
IX
Dr. Stephan Haller zog die Schuhe aus und legte sich angezogen auf das Feldbett, das während des Nachtdienstes in seinem Zimmer aufgestellt war.
Er knipste die Lampe aus, zog die Decke über sich und hätte jetzt nichts gegen ein paar Stunden Schlaf einzuwenden gehabt.
Mitternacht war lange vorbei. Er hatte ein paar Knochenbrüche verarztet und einen Darmverschluß operiert. Und immer noch wurde es nicht still in der Chirurgischen Poliklinik. Drei oder viermal liefen die Nachtschwestern draußen an seiner Tür vorbei. Das fünfte Mal klopfte es, und Schwester Karin stand im Türrahmen.
»Es tut mir leid, Herr Doktor«, sagte sie, »aber in der Aufnahme liegt ein Mann mit einer Kopfverletzung. Die Funkstreife hat ihn eben gebracht. Dem Blutverlust nach muß es eine klaffende Wunde sein …«
Dr. Haller zog die Schuhe wieder an, die Schwester half ihm in den weißen Mantel.
»Verkehrsunfall?« fragte er.
»Nein«, antwortete die Schwester. »Ein Privatdetektiv, heißt Paul Karsch und ist in einem Hausflur überfallen und niedergeschlagen worden.«
Karsch trug einen Notverband, durch den hellrotes Blut sickerte. Er lag auf einer Bahre in der Mitte des weißgekachelten Aufnahmeraums.
»Schmerzen?« fragte Haller.
»Nein.«
»Waren Sie nach dem Schlag bewußtlos?«
»Nein. Nur ist mir leider das Blut über die Augen gelaufen, und ich konnte den Kerl nicht sehen.«
Haller ließ ihn in den Operationssaal bringen. Er entfernte den Verband und tastete die Wunde ab. Karsch, dessen Gesicht im Licht der grellen Lampen sehr blaß wirkte, zuckte ein paarmal zusammen.
»Hoffentlich bleibt mir kein Dachschaden«, knurrte der Detektiv.
Haller lachte. »Nee … der Schädelknochen ist unverletzt. Es ist mit einer Platzwunde abgegangen, aber eine ziemlich lange … wir müssen sie vernähen, sonst heilt sie nicht.«
»Müssen meine Haare weg?« fragte Karsch besorgt.
»Ja, Krassmann, rasieren Sie ihm die linke Hälfte weg.«
»Jawohl, Herr Doktor.«
Danach dauerte es nicht mal eine halbe Stunde. Karsch bekam einen sauberen weißen Kopfturban verpaßt und durfte aufstehen. Langsam kehrte auch wieder Farbe in sein Gesicht zurück.
»Kann ich nach Hause?«
»Ja. Aber ans Steuer dürfen Sie nicht. Und die nächsten Tage noch ruhig halten, bitte.«
»Kann ich mal mit meiner Frau telefonieren, Herr Doktor?«
»Kommen Sie in mein Zimmer mit.«
Das Telefon stand auf Hallers Schreibtisch. Karsch brauchte einige Zeit, bis er seiner Susanne klargemacht hatte, daß er sich erstens in der Chirurgischen Klinik befand, daß zweitens keinerlei Grund zur Besorgnis bestand und daß sie drittens sich anziehen und ihn abholen sollte.
Nachdem Karsch eingehängt hatte, beugte er sich etwas vor und betrachtete merkwürdig lange die kleine Fotografie, die da auf dem Schreibtisch über Röntgenbildern und Krankengeschichten lag.
»Hübsches Mädchen«, sagte er nachdenklich.
»Kennen Sie sie?« fragte Haller schnell.
Der Detektiv schwieg.
Haller holte aus dem Schrank zwei Gläser und eine Kognakflasche. »Das Mädchen hat ein besonderes Schicksal, Herr Karsch. Was sie auch immer wissen mögen, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es mir anvertrauen würden …«
»Wenn sie nicht Janine-Marie Laurent heißt und im Hotel Sanssouci wohnt, dann täusche ich mich.«
»Sie täuschen sich nicht«,
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