Immer wenn er mich berührte
Und er hat mich ausgeführt, ist mit mir spazierengegangen, hat mich geküßt …
Er hätte mir meine Vergangenheit wiedergeben können. Aber ihm war es lieber, mich im dunkeln tappen zu lassen. Warum? Machte es ihm Spaß, zu sehen, wie ich mich noch einmal in ihn verliebte?
War das alles?
Ihr Leben glich einem Trümmerhaufen. Umsonst hatte sie gehofft, umsonst gebetet. Es wird jemanden geben, hatte sie sich immer eingeredet, der mich verzweifelt sucht, der mich liebhat. Er wird weinen vor Freude, daß ich lebe, er wird mich in seine Arme nehmen, meinen Namen flüstern, und ich werde aufwachen, endlich aufwachen.
Jetzt bin ich aufgewacht, dachte sie. Nur der Mann, der mich liebhaben sollte, der hat zufällig gerade eine andere in den Armen gehabt. Und danach hat er seine Geliebte zu mir ins Bett geschickt.
Sollte das die Bilanz ihres Lebens sein?
Nein, dachte sie plötzlich. Für mich gibt es keinen Jürgen Siebert mehr. Das Leben mit ihm war ein Irrtum, das Wiedersehen eine Farce. Es ist mir egal, wie viele Frauen er von nun an hat. Ich bin frei von ihm.
Draußen zog ein grauer, neuer Morgen herauf. Das Mädchen neben ihr schlief jetzt fest. Auch über ihr Gesicht hatte der Schlaf den Frieden gebreitet.
Janine stand leise auf, zog sich ihr Kleid an, nahm ihre Schuhe in die Hand, drückte vorsichtig die Klinke der Türe und trat auf den Flur.
Sie hatte Sehnsucht nach einem Menschen. Es gab nur noch einen einzigen, zu dem sie Vertrauen hatte. In dieser bitteren Stunde wurde ihr zum erstenmal klar, was er ihr wirklich bedeutete.
Das Haus war noch dunkel. Janine schlich sich über die Treppe hinunter. Ich komme jetzt, Stephan, sprach sie zu sich selbst. Ich komme, um dir zu sagen, daß es zwischen uns keine Probleme mehr gibt. Bitte, halte mich fest, Stephan, laß mich nicht mehr los, trag mich fort …
Richtig weinen möchte ich. Und dann lachen. Und dann deinen Kopf zu mir herunterziehen, und meine Arme um dich legen, und endlich geborgen sein – und nicht mehr zurückblicken.
Stephan Haller, ganz nah war er ihr plötzlich. Liebe, dachte sie, ist ein oft mißbrauchtes Wort. Aber zwischen uns gilt es.
Janine fand die Haustüre versperrt. Nur den Bruchteil einer Sekunde zögerte sie. Dann rannte sie in die Halle zurück und zog kurz entschlossen den Rolladen eines Fensters hoch. Als sie den Fensterflügel öffnen wollte, fühlte sie sich plötzlich am Arm gepackt.
»Wo willst du denn hin?« fragte Jürgen heiser.
Sie drehte sich um.
»Nach Hause«, sagte sie.
»Aber ich bitte dich, Liebling«, hielt er ihr vor, »was würde denn Fräulein Westphal von uns denken, wenn wir bei Nacht und Nebel einfach davonschleichen. Du mußt wissen, sie hat sich sehr um dich bemüht, als es dir auf einmal nicht sehr gut ging.«
Janine blickte ihn an. Es war zu dunkel in diesem Raum, als daß er die Verachtung in ihren Augen hätte lesen können. Aber es war nicht bloß Verachtung. Zum erstenmal in ihrem Leben begriff sie, was Haß ist.
»Was sollen wir denn hier noch?« fragte sie zurück.
In diesem Moment flammten die großen Lampen auf. Gaby stand lachend in einem bunten Morgenmantel auf der Treppe.
»Erst mal frühstücken«, sagte sie. »Ich frühstücke sowieso nicht gern allein. Kommen Sie, Fräulein Laurent, schauen wir mal in der Küche nach.«
In dieser verhängnisvollen Minute beschloß Janine, das Spiel der beiden eine Weile mitzumachen.
XIII
Am Morgen dieses 27. Februars wurde der 49jährige Kraftfahrer Karl Silewski erneut aus seiner Zelle geholt und den Beamten der Berliner Mordkommission vorgeführt.
Silewski, ein untersetzter, kahlköpfiger Mann, sah müde und verfallen aus. Nach zwölfstündigen, pausenlosen Verhören hatte er in der vergangenen Nacht gestanden, der langgesuchte Frauenmörder zu sein.
Silewski war verheiratet, Vater von zwei schon fast erwachsenen Töchtern. Er war nicht vorbestraft, kein Trinker, kein Spieler, sein Arbeitgeber war zufrieden mit ihm. Er spielte bescheiden im Lotto, er sammelte Briefmarken und hatte drei junge blonde Frauen umgebracht. Karl Silewski war ein scheußlicher Sittlichkeitsverbrecher, der eine ganze Stadt in Atem gehalten hatte.
»Sie haben doch mein Geständnis«, sagte er, als er das Zimmer der Mordkommission betrat. »Und sie haben mir versprochen, daß ich schlafen darf, wenn ich unterschreibe …«
»Setzen Sie sich«, fuhr ihn Inspektor Sasse ungemütlich an. »Ihr Schlafbedürfnis kann später mal befriedigt werden. Uns geht es im Augenblick
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