Immer wenn er mich berührte
unserer kleinen Wohnung. Das tut man doch mit seiner Frau, nicht wahr?«
Ganz nahe trat sie vor ihn hin, spuckte ihm die Worte ins aschfahle Gesicht. »Ich bin nicht auf dem Heidefriedhof, Jürgen, ich bin hier, ich lebe, was sagst du dazu …«
Noch begriff sie nicht, was sie getan hatte. Erst als sie die Wandlung in Jürgens Gesicht sah, erkannte sie ihren furchtbaren Fehler.
Der, der da vor ihr stand, der trug keine Maske mehr. Das war kein Liebhaber, kein Ehebrecher, kein Windhund, kein Lügner, das war …
Mein Gott. Sie wich ein paar Schritte zurück. Warum war sie mit ihm gefahren? Warum hatte sie sich ihm ausgeliefert … ihm, ihrem Mörder.
Janine riß die Arme hoch, wollte schreien, schreien. Aber sie erstickte an ihrem Schrei. Denn da waren zwei Hände, Jürgens Hände, seine weichen, zärtlichen Hände, geschaffen, um Frauen zu lieben, wie eiserne Klammern schlossen sie sich um ihren Schrei, drosselten ihn ab, ließen ihn verstummen … Und nichts blieb als Schwärze und Stille. Totenstille.
Etwa hundert Meter von der Westphalschen Villa entfernt parkte ein grauer Wagen, in dem zwei Männer saßen und warteten. Der eine war ruhig und gelassen, der andere nervös.
»Bitte, Herr Karsch«, sagte Dr. Haller verzweifelt, »was hat das für einen Sinn, hier tatenlos herumzusitzen?«
Der Detektiv lächelte. »Sie sind bestimmt ein ausgezeichneter Chirurg, Herr Doktor, aber als Detektiv könnte ich Sie nicht brauchen. Sie sind zu ungeduldig.«
Stephan Haller packte ihn am Arm. »Ich kann mir nicht helfen, ich habe das Gefühl, daß Janine in Gefahr ist. Sie war die ganze Nacht nicht im Hotel, heute vormittag nicht, sie ist jetzt noch nicht da, hat keine Nachricht gegeben …«
»Ich kann Ihr Gefühl gut verstehen, Herr Doktor«, versicherte Paul Karsch, der unter seinem Trachtenhut noch immer den Kopfverband trug, den ihm Haller nach dem Überfall verpaßt hatte. »Aber sehen Sie mal, wo sollten wir Ihre Janine suchen? Etwa ziellos in der Stadt umherfahren?«
»Natürlich hat das keinen Sinn«, gab Haller zu.
Karsch nickte. »Wir müssen uns an diese Spur halten. Jürgen Siebert geht hier bei Westphals aus und ein, er gilt als der zukünftige Schwiegersohn. Wir wissen, daß der alte Westphal verreist ist. Gaby ist allein im Haus. Ich möchte wetten, sie wartet auf ihn.«
»Hoffentlich ist es dann nicht zu spät.«
Haller erschrak über seine eigenen Worte. In Gedanken gab er sich sofort einige Beruhigungsspritzen. Was du dir da zusammenreimst, ist schwachsinnig. Kann Janine nicht eine Nacht mit ihrem Mann verbringen? Vielleicht hat er sich inzwischen zu erkennen gegeben, und die beiden sind glücklich miteinander irgendwo hingefahren. Was für eine Gefahr sollte da bestehen?
»Zigarette, Doktor?« fragte Karsch und hielt ihm ein Päckchen hin.
»Danke.« Er zwang sich zu einem Lächeln. Er war froh, daß er nicht allein war. Als er heute früh Janine nicht erreichen konnte, als er im Bayerischen Hof erfuhr, daß auch Jürgen Siebert sein Hotelzimmer nicht gesehen hatte, als ihm dann noch ein Kellner verriet, daß der Herr Siebert im Begriffe sei, eine der glänzendsten Partien zu machen, daß er demnächst die schöne und reiche Gaby Westphal heiraten wollte, da hatte ihn plötzlich die Angst gepackt.
Und er war zu Karsch gefahren und hatte ihm die ganze Geschichte erzählt. Und der Detektiv hatte sofort den Finger auf den wunden Punkt gelegt.
»Wenn Janine ihm im Wege wäre, dann könnte er auf den Gedanken kommen, sie verschwinden zu lassen, ehe sie ihr Gedächtnis wiederfindet. Sein Risiko wäre nicht mal sehr groß, denn offiziell ist seine Frau ja schon tot …«
Daran mußte Haller immerfort denken. Trotz aller Beruhigungsspritzen, trotz aller Vernunftgründe, die er gegen diese Version mobil machen wollte.
Um zwanzig Minuten nach vier bog ein Taxi in die Straße ein und hielt vor der Westphalschen Villa. Der Fahrer hupte.
»Da kommt sie«, flüsterte Karsch.
Haller sah sie zum ersten Mal. Sie war groß, schlank, auffallend elegant gekleidet. Sie reichte dem Chauffeur einen kleinen Koffer, den dieser im Gepäckraum verstaute.
»Wir fahren ihr nach«, bestimmte Karsch. »Vielleicht trifft sie ihn irgendwo.«
Die Maschine nach Rom flog um 18 Uhr 35.
Als Gaby die Halle des Flughafens betrat, sah sie sich zuerst suchend um. Aber sie sah nur fremde Gesichter. Am Zeitungskiosk erstand sie ein französisches Modejournal.
»Achtung. Air France gibt die Ankunft ihrer Maschine aus Paris
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