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Immer wenn er mich berührte

Immer wenn er mich berührte

Titel: Immer wenn er mich berührte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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morgen beim Frühstück reicht es auch noch.
    »Gute Nacht«, sagte er und schlüpfte im Gehen in seinen Mantel.
    »Wollen Sie ihm nicht eine Nachricht hinterlassen?« rief ihm der Portier noch nach.
    »Nein, danke. Es sollte ja eine Überraschung sein.«
    Zehn Minuten später schloß er die Tür zu seinem Appartement auf. Er warf seinen Mantel über einen Stuhl und wählte ein letztes Mal die Nummer des Sanssouci.
    »Fräulein Laurent schon zurückgekommen?«
    »Nein, Herr Doktor.«
    »Sie soll mich morgen früh zu Hause anrufen.«
    »Wird ausgerichtet.«
    Langsam erwachte Janine, wie jemand, der aus einem tiefen Brunnen an die Oberfläche taucht. Sie öffnete die Augen, wandte ihr Gesicht zu dem perlmuttgrauen Viereck des Fensters. Ein blasses, kaltes Licht fiel von dort ins Zimmer.
    Sie ließ ihre Augen wandern, über fremde Möbel, fremde Gegenstände. Lieber Gott, wo war sie: Es war so schwer, darüber nachzudenken, beinahe unmöglich. Der Schlaf war noch in ihren Gliedern, in ihren Gedanken, im trägen Schlag ihres Herzens.
    Wo war Jürgen? Was war geschehen? Jemand, stellte sie fest, hatte ihr das Kleid ausgezogen, die Strümpfe, die Schuhe. Jemand hatte sie in dieses Bett gelegt …
    Janine setzte sich auf, schob mit beiden Händen die wirren Haare aus dem Gesicht. Waren sie am Abend nicht in dieser Villa gewesen? Mit dem Mädchen … am Kaminfeuer? Wenn du ausgetrunken hast, hatte Jürgen gesagt, dann gehen wir. Und wo war sie jetzt?
    Sie tastete nach einer Lampe neben dem Bett, aber da war keine. Das Haus erschien vollkommen still, irgendwo bellten Hunde, vor dem Fenster türmten sich im Morgengrauen die schwarzen Umrisse riesiger Tannen.
    Vorsichtig stand sie auf, ging über den weichen Teppich bis zur Tür, öffnete sie, horchte hinaus. Es war so still, daß sie ihren eigenen Atem hörte.
    Lautlos folgte sie auf bloßen Füßen dem Gang, drückte aufs Geratewohl eine Türklinke und sah plötzlich Licht.
    Janine war im Unterrock, in einem Aufzug, in dem man normalerweise nicht durch fremde Häuser spaziert. Vielleicht wäre sie sonst einfach forsch die Treppe hinuntergegangen. So aber drückte sie sich leise an dem Geländer der Galerie entlang und spähte nach unten, dem Lichtschein entgegen, der aus der Kaminecke in der Wohnhalle kam.
    Sie beugte sich vor. Und dann erblickte sie Jürgen. Er saß in einem der Ledersessel, sie sah ganz genau sein Gesicht, seine Augen, seine Hände, die Bewegung, mit der er eine Zigarette ausdrückte.
    Vor dem Kamin erhob sich das Mädchen, das sie gestern abend kennengelernt hatten. Fräulein Westphal, Sie sah anders aus als am Abend, ihre hochgesteckten schwarzen Haare fielen ihr jetzt über die Schultern, ihr Gesicht war sehr blaß, und kein Lächeln war mehr darin.
    Janine sah, wie sie zu Jürgen trat, sich auf seiner Sessellehne niederließ, sie sah, wie Jürgen sie an sich riß, sie sah, wie sie sich küßten, sich ineinander verbissen, sich umklammerten. Sie sah, daß Jürgen seine Augen geschlossen hielt und daß seine Hände zitterten. Sie sah alles mit grausamer Klarheit.
    Und plötzlich wußte sie alles. Mit einem Schlag. Mit einem schmerzhaften, brutalen, erbarmungslosen Schlag.
    Der da unten war ihr Mann. Jürgen Siebert. Und sie, sie war nicht Janine Laurent. Sie war Janine Siebert.
    Da oben auf der dunklen Galerie sank sie zu Boden, die Hände vor den Mund gepreßt, um nicht aufzuschreien.
    Ihr ganzes Leben war wieder da, in allen Einzelheiten. Der Schleier war gerissen …

XII
    Es wäre besser gewesen in dieser Sekunde, sie hätte weinen können. Aber es kamen keine Tränen. Nur eine große Kälte überfiel sie.
    Du wolltest doch dein Leben wiederhaben, Janine? Nun hast du es. Der Mann da unten, der vor dem verglühenden Kaminfeuer das Mädchen küßt, das ist dein Leben.
    Ein bestimmtes Erlebnis, hatte Dr. Sartorius prophezeit, kann in einer einzigen Sekunde Ihre ganze Vergangenheit aufrollen …
    Jetzt war es soweit. Barfuß, nur mit einem Hemd bekleidet, aufgewacht aus einem schweren, traumlosen Schlaf, stand sie in einer fremden Villa und begriff, warum die Vergangenheit jetzt zurückgekehrt war.
    Das Gleiche hatte sie schon einmal erlebt. Die Monate dazwischen schienen ausgelöscht. Es war ihr, als sei alles gestern gewesen. Der anonyme Brief, das Absteigequartier, das rothaarige Mädchen, ihre heiser geflüsterten Worte: »Um dich zu kriegen, Jürgen, würde ich alles tun, alles …«
    Ganz deutlich erinnerte sie sich. An das Mädchen, an sein

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