Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)
aufreibende Zeiten waren es, die Besuche bei den anderen, die im selben Boot saßen, ein Fischen nach Sicherheit, ein Festhalten, ein Sich-Vergewissern vom Zusammenhalt der anderen. Auch der Verbundenheit des Onkels. Alleine konnte man es nicht schaffen, und so hatte er eiligst, nachdem ihm Manfred Krug, sie kannten sich von früher, über den Vater Grüße hatte bestellen lassen, »wieder persönlichen Kontakt aufgenommen«. Vielleicht rief er Manfred Krug gar an dem Tag an, an dem auch der Vater und Günter Grass ihn besuchten. Na, alter Junge, wie geht es dir, könnte der eine zum anderen gesagt haben. Der andere zum einen: Mensch, wir haben ja schon ewig nichts mehr voneinander gehört. Das muss sich ändern. Und dann wurde der Onkel von Krug herzlich eingeladen. Ich lese: »Er brauchte sich lediglich einen Tag vorher anmelden und einem Besuch stände nichts im Wege (außer Dienstags – da hätte er seinen Behördentag). Auf die Frage des IM, wie viel denn noch Zeit wäre zu einem Besuch, antwortete Krug 3–4 Wochen oder auch länger. Der IM wurde beauftragt, die Einladung anzunehmen.«
Es kamen die Sommermonate. Unbeschwert waren die Wochen auf Hiddensee sicher nicht, aber doch eine Abwechslung, eine Erholung, Kraft schöpfen.
Nach dem Urlaub versammelten sich die Schriftsteller noch einmal in unserer Wohnung, am 5. August 1977, nur einige Monate vor unserer Ausreise. Vielleicht war es da, dass mir die Mutter einen Wischeimer voller Kartoffeln hinstellte und mich bat, beim Schälen zu helfen. Kartoffelsalat in Unmengen. Dazu Kassler aus Jena. Aber nicht darum erwähne ich das Treffen bei uns in Köpenick. Sondern deshalb, weil es auch wieder unter einem Stern stand. Sarah Kirsch warf in die Runde, dass sie beabsichtige, die DDR zu verlassen. Ich lese: »Sarah Kirsch berichtete über ihr Vorhaben, aus der DDR auszureisen und legte die Gründe dafür dar. Sie erläuterte, daß ihr an den Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, gerichtetes Schreiben betreffs ihrer Ausreise aus der DDR wohlwollend mit den besten Empfehlungen an die zuständigen Staatsorgane weitergeleitet wurde. Die Kirsch führte weiter aus, daß sie in der Aussprache bei den staatlichen Stellen anständig und zuvorkommend behandelt wurde und ihre Wünsche weitestgehend Berücksichtigung fanden.« Wie mögen Günter Kunert, Adolf Endler, Elke Erb, Dieter Schubert, Bettina Wegner, Klaus Schlesinger, Klaus Poche, Brigitte Struzyk, Rainer Kirsch und Erich Arendt von der östlichen und Günter Grass, Christoph Meckel, Hans Christoph Buch, Rolf Haufs, Nicolas Born, Wolfgang Werth und Fred Viebahn von der westlichen Seite das aufgenommen haben? Sicher kein Gerede über das Dableiben, sonst ändere sich nichts, das auch unter Westlern verbreitet war. Es gab Verständnis für jeden, der wegging, wenn auch immer noch die Frage im Raum stand, was denn mit denen sei, die blieben.
Immer mehr DDR-Schriftsteller und Künstler verließen das Land, was als Verlust und als Schwächung der Reihen empfunden wurde, besonders von denen, die die DDR nicht verlassen konnten oder wollten. Fast wöchentlich gab es Verabschiedungsszenen am »Tränenpalast«, wie der Grenzübergang Friedrichstraße im Volksmund hieß, wo die, die blieben, mit einer Blume standen für die, die gingen.
Ob vor Sarah Kirschs Mitteilung gelesen wurde oder danach? Dass gelesen wurde, ist sicher. Ich lese: »Im Verlauf der Zusammenkunft wurde aus literarischen Arbeiten einiger anwesender Schriftsteller gelesen und anschließend literaturtheoretische Diskussionen darüber geführt. So las Grass aus seinem neuen Roman ›Der Butt‹ und Schädlich aus einem im Herbst 1977 im Rowohlt-Verlag Reinbek, b. Hamburg erscheinenden Prosaband ›Versuchte Nähe‹.«
Danach gab es nur noch eine Zusammenkunft von Schriftstellern aus Ost und West, am 18. November 1977 bei Erich Arendt in Prenzlauer Berg. Dieses Treffen war das letzte seiner Art. Nach unserer Ausreise im Dezember 1977 wurden zwar Anstrengungen unternommen, die Begegnungen aufrechtzuerhalten, aber viele hatten die DDR bereits verlassen oder standen kurz davor.
Bernd Jentzsch hatte sich im Oktober 1976 mit einem Arbeitsstipendium in der Schweiz befunden. Nachdem er nach der Ausbürgerung Biermanns am 21. November 1976 einen in der FAZ veröffentlichten Protestbrief an Erich Honecker geschrieben hatte, wurde ihm von seiten der DDR ein Strafverfahren angekündigt. Er stand auf
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