Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)
fünfzehn Schriftstellertreffen an wechselnden Orten, immer in Privatwohnungen in Ost-Berlin mit einem Stamm von Autoren, der immer oder fast immer dabei war: Günter Grass, Hans Christoph Buch, Nicolas Born, Rolf Haufs aus dem Westen, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Rainer Kirsch, Kurt Bartsch, Bernd Jentzsch, Hans Joachim Schädlich, Klaus Schlesinger, Bettina Wegner und Elke Erb aus dem Osten. In den Jahren, in denen man zusammenkam, sich gegenseitig vorlas und diskutierte, sind die Romane Der Butt von Günter Grass, Die erdabgewandte Seite der Geschichte von Nicolas Born und der Erzählungsband Versuchte Nähe von Hans Joachim Schädlich entstanden. Nach der zweiten Zusammenkunft im August 1974 bei uns trafen sich die Schriftsteller bei Sarah Kirsch, dann bei Günter Kunert, Sibylle Hentschke, Hans Joachim Schädlich, Sarah Kirsch, Adolf Endler, Hans Joachim Schädlich, Edda Bauer, Günter Kunert, Klaus Schlesinger, Edda Bauer, Hans Joachim Schädlich und ein letztes Mal bei Erich Arendt.
Obwohl jedes dieser Treffen ein Ereignis war, gibt es solche, die herausfallen. Zum Beispiel das bei Günter Kunert am 12. November 1976. Es war das elfte. Es war besonders, weil Max Frisch erwartet wurde.
Die Mutter und der Vater holten ihn, Marianne Frisch, Günter Grass, Rolf Haufs und Jeanette Lander vom Grenzübergang Friedrichstraße ab, um gemeinsam mit ihnen nach Berlin-Buch zu Kunerts zu fahren. Sie mussten lange warten. Frisch kam und kam nicht. Weil er Bücher von sich dabeihatte, die er verschenken wollte, war er an der Grenze aufgehalten worden.
Ein Dialog zwischen Grenzpolizist und Max Frisch, etwa so:
Der Grenzpolizist auf sächsisch: »Die Einfuhr von Druckerzeugnissen in die DDR ist verboten.«
Frisch: »Mein Herr, diese Bücher habe ich selbst geschrieben. Sie erscheinen bald auch in der DDR, im Verlag Volk & Welt. Man könnte also sagen, dass sie nicht verboten sind.«
Der Grenzpolizist: »Dann sind Sie wohl so etwas Ähnliches wie ein Schriftsteller?«
So erzählte es Max Frisch, als er aus dem Bahnhof kam, und lachte.
In Berlin-Buch angekommen, warteten bereits Kurt Bartsch, Rainer Kirsch, Friedrich Dieckmann und Sibylle Hentschke. Kaffee trinken, Kuchen essen, Zettel in den Hut, Beginn der Lesungen. Zuerst Kurt Bartsch, dann Max Frisch, Jeanette Lander und Günter Grass. Während der Lesungen trafen Nachzügler ein: Jurek Becker und seine Frau, Klaus Schlesinger, Bettina Wegner, Günter de Bruyn, Stefan Heym mit Frau, Christa und Gerhard Wolf, Heiner Müller. Sie kamen, weil Frisch da war.
»Es war plötzlich eine sonderbare Befangenheit zu spüren. Die einen saßen in einer Gruppe an einem Tisch, abseits von den anderen«, erzählt die Mutter.
Nach dem Eintreffen der Nachzügler wurde das Weiterlesen abgebrochen. Es sollte, so wurde gesagt, lieber ein Fest gefeiert werden. Unverfänglich. Günter Grass gab der Kuttelsuppe den letzten Schliff, Marianne Kunert hatte Gulasch- und Lammsuppe gekocht. Es wurde über den Ausschluss von Reiner Kunze aus dem Schriftstellerverband gesprochen, aber politischer wurde es nicht, es war nicht der vertraute Kreis. Dass einen Tag später die Klänge einer Gitarre und die Stimme eines Mannes vieles ändern würden, konnte an jenem Abend keiner ahnen.
Am 13. November trat Wolf Biermann in Köln auf. Drei Tage danach die Ausbürgerung, in unmittelbarer Folge die Unterschriften auf der Protestresolution gegen den Beschluss der DDR-Führung, zu deren Initiatoren auch die gehörten, die gerade noch in dem Haus von Kunert zusammengesessen hatten.
Am 18. November unterschrieb der Vater. »Ich bin zu Sarah Kirsch gegangen, weil ich dort die Liste vermutete und unterschreiben wollte. Kurt Bartsch war auch da. Aber die Liste hatte Klaus Schlesinger, und der war zusammen mit Ulrich Plenzdorf unterwegs, um Leute zu bitten, sich einzutragen. Irgendwann rief Sarah Klaus an oder er sie, und wir sagten: ›Hör zu, wir wollen unterschreiben.‹
›Okay‹, sagte Klaus, ›ich setz eure Namen auf die Liste.‹ Das war alles«, erzählt der Vater.
Er kam erst am späten Abend nach Hause. Die Mutter wartete schon.
Der Vater sagte: »Ich bin drauf.«
»Ich bin fast ohnmächtig geworden, denn ich wusste, von nun an würde das Leben nicht mehr so sein, wie es war. Es war richtig, dass er unterschrieben hatte, aber dass das Konsequenzen haben würde, und nicht nur für ihn, war mir sofort klar«, erzählt die Mutter.
Nur fünf Tage später wurde der Vater vom zuständigen
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