Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)
der Fahndungsliste, woraufhin er sich im Januar 1977 entschloss, in der Schweiz zu bleiben. Auf seine Frau wurde Druck ausgeübt, sich von ihm zu distanzieren und sich scheiden zu lassen, aber schließlich durfte sie zusammen mit dem gemeinsamen Sohn im März 1977 die DDR verlassen. Im Dezember 1976 waren auch Thomas Brasch und seine Lebensgefährtin Katharina Thalbach nach West-Berlin übergesiedelt. Im Juni 1977 wurde dem Ausreisebegehren von Manfred Krug stattgegeben, und am 28. August hatte Sarah Kirsch die DDR verlassen. Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach und Christian Kunert waren nur zwei Tage vorher abgeschoben worden. Im Dezember 1977 verließen wir die DDR. Mit mehrjährigen Visa, die ihnen einen Aufenthalt in der Bundesrepublik erlaubten, änderten Jurek Becker im Dezember 1977, Günter Kunert im Oktober 1979, Klaus Poche Ende 1979, Klaus Schlesinger im Februar 1980, Kurt Bartsch im November 1980 ihren Wohnsitz – allesamt Schriftsteller, die regelmäßig oder von Zeit zu Zeit Teilnehmer der Gespräche gewesen waren.
Zu Arendt kamen noch einmal: Peter Schneider, Reinhard Lettau, Dawn Teborski, Günter Grass, Klaus Tragelehn, Heinz Czechowski, Jürgen Rennert, Jurek Becker, Klaus Schlesinger, Hans Joachim Schädlich.
Wie verlief der Tag? So. Ich lese:
»13.00 Uhr wurde die Beobachtung an der bekannten Anlaufstelle Berlin – Prenzlauerberg […] aufgenommen.
13.30 Uhr betrat die bekannte Verbindung ›Text‹ die Anlaufstelle.« Das war Erich Arendt, er kam nach Hause, bald würden die Gäste kommen. Der erste war Klaus Schlesinger.
»14.00 Uhr wurde festgestellt, dass die bekannte Verbindung ›Haken‹ die Anlaufstelle betrat. Er hatte eine gefüllte schwarze Aktentasche bei sich.«
Nur wenige Minuten später folgte Jurek Becker.
»14.12 Uhr betrat die bekannte Verbindung ›Reifen‹ und
14.20 Uhr die bekannte Verbindung ›Silbe‹ die Anlaufstelle.«
Der Vater fuhr unterdessen mit dem Auto in Richtung S-Bahnhof Friedrichstraße. Dort wollte er Günter Grass abholen, so wie er es schon häufiger getan hatte.
»14.10 Uhr wurde festgestellt, daß die bekannte Verbindung ›Fahrer‹ mit seinem Pkw vom Typ: Shiguli 2101, Farbe: grün, pol. Kennzeichen IS 98-55, aus Richtung Unter den Linden kommend, zum Schiffbauer Damm fuhr und diesen in Höhe der Gaststätte ›Trichter‹ abparkte. Anschließend begab er sich zu Buchhandlung unter der Bahnbrücke Friedrichstraße.«
Vielleicht war er zu früh da, vielleicht war ihm kalt, vielleicht wollte er nicht als wartend auffallen. Bald trat er vor die Tür. Er begrüßte Dawn Teborski und Reinhard Lettau, sie waren verabredet. Noch jemand gesellte sich hinzu.
»14.20 Uhr wurde festgestellt, daß sich ›Fahrer‹ von der Buchhandlung mit einer weiblichen Person, die im weiteren Bericht ›Sprache‹ und zwei männlichen Personen, die die Decknamen ›Staat‹ und ›Sack‹ erhalten, unterhielt.«
Sie sprachen nicht lange, da kam auch schon Günter Grass.
»14.25 Uhr wurde ›224135‹ in der Georgenstraße, aus Richtung GÜSt Bahnhof Friedrichstraße kommend, zur Beobachtung aufgenommen. Auf diesem Weg drehte er sich eine Zigarette und zündete diese an. An der Buchhandlung begrüßte die zu beobachtende Person ›Fahrer‹, ›Staat‹, ›Sack‹ und ›Sprache‹ mit Handschlag. Das Objekt hatte einen grünen, leicht gefüllten Stoffbeutel bei sich. Nach der Begrüßung gingen die fünf Personen die Friedrichstraße in Richtung Weidendammbrücke, wobei sie sich wechselseitig unterhielten. Auf diesem Weg gingen ›224135‹ und ›Staat‹ mit ›Fahrer‹, sowie ›Sprache‹ mit ›Sack‹ zusammen. Alle Personen begaben sich zu dem abgeparkten Pkw von ›Fahrer‹ und stiegen ein. Zuvor hatte ›Fahrer‹ kurz den Kofferraum geöffnet und wieder geschlossen. ›Sprache‹, ›Staat‹ und ›Sack‹ nahmen auf den Rücksitzen und das Objekt auf dem Beifahrersitz des Pkw Platz.
14.31 Uhr fuhren sie über Schiffbauer Damm, Albrechtstraße, Reinhardtstraße, Friedrichstraße, Wilhelm-Pieck-Straße, Chorinerstr., Schönhauser Allee, Pappelallee zur Raumestraße.
14.45 Uhr parkte ›Fahrer‹ den Pkw gegenüber Haus Nr. […] ab. Alle Personen stiegen aus und betraten die Anlaufstelle.«
Langsam fanden sich alle ein, manch einer kam später. Es wurde gelesen, diskutiert, gegessen, weiter gelesen.
»In den Abendstunden wurde durch das offenstehende Wohnungsfenster gesehen, daß sich ca. 15 Personen in der Wohnung aufhielten. Diese saßen
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