Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)
Forschungsbereichsleiter des Akademieinstituts »entsprechend der Auflage durch die Kulturabteilung des ZK der SED« aufgefordert, seine Unterschrift zurückzuziehen, und am 14. Dezember 1976 berichtete IM »Ernst«, dass der Vater, wie schon in einer Aussprache in der Akademie der Wissenschaften, sich bei einem Gespräch im Verlag Volk & Welt, für den er als Übersetzer aus dem Niederländischen tätig war, »auch gegenüber Gen. Küchler als absolut verbohrt und unzugänglich« zeigte.
Auch bei den Schriftstellertreffen gab es ein Davor und Danach. Einen Bruch, auf der Ost- und auf der Westseite. Die Frage war, ob die Zusammenkünfte überhaupt noch Sinn hätten. »Aber die Leute in der DDR wollten gerne gerade jetzt, dass wir weitermachten, wir durften sie nicht im Stich lassen, weil die Treffen für sie existentielle Bedeutung hatten«, erzählt Hans Christoph Buch.
Die erste Veranstaltung nach der Ausbürgerung Biermanns war in der Wohnung von Klaus Schlesinger und seiner Frau Bettina Wegner am 4. Februar 1977. »Die Beteiligung von DDR-Seite war schwach. Es kamen Sarah Kirsch, Adolf Endler, Elke Erb, Hans Joachim Schädlich, Dieter Schubert aus dem Osten und Günter Grass, Hans Christoph Buch, Hermann Peter Piwitt und Peter Schneider aus dem Westen. Nachdem Adolf Endler und Elke Erb gelesen hatten, sang Bettina Wegner zur Gitarre. Niemand hatte damit gerechnet, aber schon nach den Liedern ›Kinder‹ und ›Ach wenn ich doch als Mann auf diese Welt gekommen wär‹ hatte sie die Zuhörer fasziniert. Als sie noch ›Magdalena‹ sang, ein Lied über das Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Magdalenenstraße, herrschte Bedrücktheit, weil Unzählige, die in Berlin verhaftet worden waren, dort verhört wurden und noch niemand wusste, was als nächstes passierte«, erzählt die Mutter. »Nach der Ausbürgerung und der Unterschriftenaktion gab es eine verschärfte ideologische Konfrontation. Mit der Welle des Protestes hatte die DDR-Regierung nicht gerechnet. Die, die unterschrieben hatten, sollten ihre Unterschrift zurückziehen, andere, die die Ausbürgerung guthießen, Namhafte und Unbekannte, sich öffentlich bekennen, Unzählige waren verhaftet worden.«
Es war das Ende der Phase, in der die Hoffnung bestanden hatte, Honecker werde liberalisieren, auch wenn in den folgenden Monaten die Kulturpolitik der DDR den Weg verfolgte, keine »neuen Biermänner« zu schaffen. Großzügig wurden Stipendien an arrivierte Schriftsteller vergeben, Reisen ins westliche Ausland wurden häufiger erlaubt. Für die, die nicht dazugehörten, wurde der Graben tiefer, die Zukunft aussichtsloser.
Nicht so für den Onkel. Der erhielt plötzlich im März ein Dienstvisum nach West-Berlin für zwanzig Aufenthaltstage. Er hatte sich bereit erklärt, »während seines Aufenthaltes in Westberlin Aufträge zu erfüllen«. Er meldete sich telefonisch bei Günter Grass an, der den Onkel empfing, weil er dessen Bruder gut kannte. Ich lese: »Der IM wurde von Grass sehr freundlich begrüßt. Das Gespräch drehte sich vor allem um Probleme des literarischen Schaffens von Grass.«
Später kam noch ein Professor für Geschichte hinzu, mit dem sich der Onkel angeregt unterhielt, von Fachmann zu Fachmann sozusagen. Der Professor bot dem Onkel schließlich an, ihn zu Kongressen und anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen einzuladen. »Es wäre ihm eine Freude, den IM bei solchen Gelegenheiten mit den Spitzen der Gesellschaft bekannt zu machen.«
Es war nicht der letzte Besuch des Onkels in West-Berlin. Uns sagte er, dass er in Rechercheangelegenheiten reise. Das entsprach der Wahrheit, er war Historiker, er musste Archive aufsuchen. Aber es war eben nur ein Teil der Wahrheit. Und der Name Hans Joachim Schädlich war ein »Sesam-öffne-dich«. Auch, als er – da waren wir schon ausgereist – eine Lesung von Günter Grass in Ost-Berlin lancierte.
Der Vater telefonierte mit dem Onkel, im Juni 1978. Geplauder, wie es dem einen und uns gehe. Geplauder, dass die Bundesrepublik noch fremd sei. Geplauder, dass West-Berlin vielleicht ein besserer Wohnort sei als Hamburg und dass der Vater und die Mutter nächste Woche dorthin reisten, um nach einer Arbeitsstelle für sie zu suchen. Dann verschlüsselt.
Der Onkel: Da wird auch noch etwas anderes sein.
Der Vater: Was denn?
Der Onkel: In Buch sind einige Kinderchirurgen von diesem »Fischkopf-Buch« begeistert und hatten die Idee, sich mit diesem »Fischhändler« zu unterhalten. Sie sind an
Weitere Kostenlose Bücher