Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)
Metalldose. Und manch anderem, was sie nicht bringen durfte. Einem antiken Fußhocker zum Beispiel. Die Ausfuhr von Antiquitäten aus der DDR war strengstens untersagt. Im Zug sagte sie den Zollbeamten, dass sie ihn für ihre Füße brauche, schließlich sei sie eine alte Frau. Sie zog sich die Schuhe aus, setzte die Füße auf den Hocker und hatte ein Geschenk für die Mutter.
Großmama blieb, solange sie konnte. Vielleicht auch, damit die Großmutter nicht kam. Jetzt, wo der Vater zurück aus Bayern war, klingelte das Telefon wieder. Vor allem dann, wenn er allein war. Wie in der Sylvesternacht. Die Mutter war ins Alte Land gefahren. Zu Nicolas Born. Reinfeiern ins neue Jahr. Ob wir auch mit waren? Ich weiß es nicht mehr. Da hilft auch fragen nicht. Keiner von uns erinnert sich. Aber wo sonst sollen die Schwester und ich gewesen sein. Waren doch schon einmal mitgefahren. Zu Grass ins Haus nach Wewelsfleth. Sylvester 1977. Das war zum ersten Mal im Leben Aufbleiben bis zum Umfallen nach westlicher Manier. So jedenfalls kam es mir damals vor. Zum ersten Mal im Leben bengalisches Feuer, Knaller in allen Farben zum Selberanzünden. In Köpenick waren die Sylvester leiser gewesen. Einmal stellte Großmama einen Kochtopf auf den Herd und schüttete gelbe Kugeln hinein. Herdplatte an und Deckel drauf. Sie sagte: Zuhören! und legte den Finger an den Mund. Und dann knallte es gegen den Deckel. Erst langsam und dann immer schneller. Da war es doch einmal lauter geworden und ganz neu im Geschmack.
Wie auch immer das Jahr 1980 anfing, wo auch immer, der Onkel sprach schon am 2. Januar wieder bei Höpcke vor. »Der IM informierte bei diesem Gespräch über H.-J. Schädlich und erhielt die Zusage, daß das gemachte Angebot nach wie vor Gültigkeit hat.« Es ging also gleich wieder los. Neues Jahr, neue Energie. Der Onkel hinter den Kulissen, ohne unser Wissen. Wir in Schule und im Beruf, mit seinem Wissen. Die Mutter erkundigte sich bei ihm, ob er Kontakte zu einem Verlag namens Junge Welt habe, weil sie vorhatte, für Ullstein die Lizenz von einer dort veröffentlichten Buchserie zu erwerben. Die Mutter plante eine Reise nach Warschau, weil sie Schriftsteller für eine Veröffentlichung bei Ullstein gewinnen wollte. Die Mutter würde reisen, vom 29. Februar bis zum 2. März 1980. Der Onkel flog schon am 27. hin. Holte die Mutter vom Flughafen ab, nahm sie in die Arme, brachte sie ins Hotel, begleitete sie auf ihren Wegen. »Für die Zusammenkunft mit Krista-Maria Schädlich und den genannten polnischen Bürgern wurde der IM auf der Grundlage der schriftlichen Auftragskonzeption instruiert.« Drei Tage hatte die Mutter Zeit für die Arbeit, für die beste Freundin und für den Onkel, dem sie sagte, dass sie sich auch für solche Manuskripte interessiere, deren Veröffentlichung in den sozialistischen Ländern abgelehnt oder die gleich als Schubladenliteratur geschrieben wurden. Er hörte, dass sie schon im Rowohlt Verlag ein Buch des tschechischen Autors Jiri Lederer herausgebracht hatte und das Manuskript von Vaclav Havel über Österreich in die Bundesrepublik gekommen war. Er sah, dass sich die Mutter mit dem DDR-Autor Lutz Rathenow traf, um sein Manuskript mit ihm zu besprechen. Er hörte, dass Rathenow und Jürgen Fuchs sich demnächst treffen wollten und es übrigens »keine einheitliche Auffassung« unter den »ehemaligen DDR-Bürgern« in West-Berlin gebe. »Nur bei Jürgen Fuchs würde einiges zusammenlaufen. Dieser sei auch der einzige, der sich um H. J. Schädlich kümmert, ansonsten gibt es große Differenzen untereinander. Vor allem seien fast alle gegen Kunze eingestellt.« Drei Tage hörte und sah er und berichtete alles, sobald er wieder zurück war in Berlin. Zur »Realisierung der Aufträge« hatte der Onkel »800,-- M« erhalten. Das kommt auch immer wieder vor. Es war ein lukrativer Nebenverdienst.
In drei Tagen gewann er das Vertrauen von Lutz Rathenow. Der übergab dem Onkel später in Berlin Briefe an Fuchs und die Mutter, aber vorher wurde »das Material ausgewertet«. Der übergab dem Onkel auch das korrigierte Manuskript, mit der Bitte, es an den Verlag weiterzuleiten. Kontakte hatte der Onkel ja, zum ZDF-Büro zum Beispiel. Der erzählte dem Onkel, wer ursprünglich das Manuskript des Buches Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet an den Ullstein Verlag weiterleiten wollte. Der erzählte ihm von seiner Freundschaft zu Jürgen Fuchs. Der Onkel lieferte alles seinem Führungsoffizier Kurt
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