Immer wieder du: Roman (German Edition)
Verärgerung breit, gefolgt von Wut. Richard unterstützt mich überhaupt nicht in meinen Interessen. Er mag ja glücklich in seiner Rolle als Bauunternehmer sein, aber ich bin nicht zufrieden als Empfangsdame. Ich habe Ziele! Träume! Okay, ich habe diese Ziele oder Träume sehr lange nicht gehabt, aber jetzt sind sie da, und das sollte er akzeptieren. Nicht nur akzeptieren, sondern mich sogar ermutigen . Ein guter Freund – beziehungsweise Verlobter – würde das tun.
Du würdest dich für mich freuen, Ben. Du würdest mir gut zureden.
Das ist ungerecht. Ich kann Richard nicht mit einem Hirngespinst vergleichen. Denn das ist Ben ja praktisch. Und vielleicht ist Ben auch nicht mehr so toll, wie ich ihn in Erinnerung habe. Damals war ich sechzehn. Wahrscheinlich habe ich ihn durch die rosarote Brille gesehen. In Wahrheit ist er womöglich ein dummer alter Sack.
Du weißt, dass ich das nicht bin.
Ja, ich weiß. Aber sei still, ja? Du bist nicht hier, Richard schon. Hör auf, dich einzumischen!
Das wird immer verrückter.
Egal. Fazit ist, dass ich zu dieser supercoolen Vernissage gehen werde, Nathan und Lucy es mir nicht übelnehmen und Richard darüber hinwegkommen wird. Basta.
»Wow, total sexy!«, quietscht mir Nicola später am Abend ins Ohr.
Ich wusste, sie würde scharf auf Pier Frank sein. Er ist Mitte zwanzig, hat zerzaustes dunkles Haar, einen Stoppelbart und trägt enganliegende Jeans.
»Jetzt sag nicht, dass der auch eine Freundin hat, denn ich will es nicht hören«, scherzt sie und wirft theatralisch ihr langes blondes Haar nach hinten.
»Nö. Der ist schwul.«
»Neiiiin!« , kreischt sie.
»Psst!« Ich kichere. »War nur ein Scherz. Ich weiß nicht, ob er vergeben ist oder nicht.«
»Puh!« Sie seufzt erleichtert und mustert ihn erneut. »Sollen wir zu ihm gehen und hallo sagen?«
»Noch nicht.« Ich halte sie zurück. »Wir wollen uns erst die Ausstellung ansehen, ja?«
Die Galerie befindet sich nahe der Oper, für uns ein Fußweg von nur zehn Minuten. Nicola wollte ein Taxi nehmen, weil sie ein faules Stück ist, aber ich habe es nicht zugelassen. Erst als wir am Veranstaltungsort eintrafen, hörte sie auf, sich über ihre wunden Füße zu beschweren.
Die Decken sind hoch, das Licht gedämmt, aber jedes einzelne Schwarz-Weiß-Foto von Pier Frank wird von einem Scheinwerfer angestrahlt. Seine Arbeiten sind düster und verstörend – ein toter Hund am Straßenrand; ein Mann, der eine Frau verfolgt –, und die Atmosphäre passt gut dazu.
»Ich mag seine Sachen nicht besonders«, eröffnet Nicola mir nach zehn Minuten Rundgang.
»Ich auch nicht«, stimme ich ihr zu. »Sollen wir uns in der Ecke neben der Küche betrinken und die Canapés stibitzen, wenn sie rauskommen?«
»Gute Idee!«
»Was willst du denn zu ihm sagen, wenn du nachher eine Gelegenheit bekommst?«, frage ich, den Mund voll von Ziegenkäsetörtchen mit karamellisierten Zwiebeln.
»Ich weiß nicht. Meinst du, ich sollte ihm erklären, dass ich seine Arbeit blöd finde?«
»Sie ist nicht blöd«, sage ich, »nur ein bisschen verstörend.«
»Dann eben verstörend.«
»Warum nicht? Das ist bestimmt die Masche, auf die er abfährt.«
»Klar, du hast recht. Heißt das, er wird sich über diese Reaktion freuen?«
»Wahrscheinlich.«
»Ich geh mal kurz wohin«, sagt sie. »Kommst du mit?«
»Nein, ich halte unseren Platz bei den Canapés frei.«
»Bin gleich wieder da.«
Fünf Minuten später stehe ich noch immer da wie ein Volltrottel und wünsche mir allmählich, auch zur Toilette gegangen zu sein. Ich könnte mich weiter umsehen, aber die Galerie ist groß, und es drängen sich so viele Menschen hier, dass Nicola mich auf dem Rückweg wohl verfehlen würde und wir uns kaum wiederfinden würden. Sie ist sicher bald zurück.
Fehlanzeige. Zwei weitere Minuten vergehen. Befangen nippe ich an meinem Wein und beobachte die Leute. Ich fühle mich hier ganz und gar nicht wohl. Eine Frau mittleren Alters, gekleidet wie eine Prostituierte, steht neben mir, wiehert wie ein Pferd und redet wie ein Wasserfall auf einen Mann ein, der halb so alt ist wie sie. Die Galerie ist gefüllt mit Menschen wie diesen beiden. Und das gefällt mir nicht. Ich könnte es nicht ertragen, zu einer solchen Gruppe zu gehören.
Was bilde ich mir bloß ein, Fotografin werden zu wollen?
Einer Eingebung folgend, klappe ich mein Handy auf und schaue nach meinen SMS. Von Richard ist nichts gekommen, und ich bin traurig. Er fehlt mir. Ich
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